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Gemeinschaftliches Wohnen im Bestand. Was in Wohngebieten mit älter werdender Bewohnerschaft geht

Artikel vom 01.06.2004

Wohnquartier aus den 1950er Jahren. Foto: privat

Wie können die Vorzüge gemeinschaftlichen Wohnens für möglichst viele ältere Menschen erschlossen werden? Ausgerechnet die als langweilig und spießig geltende Wohnungs-Nachkriegsmassenware bietet Qualitäten für ein gemeinschaftlicheres Wohnen älterer Menschen. Von Tobias Robischon

Die Vorzüge gemeinschaftlichen Wohnens für die wachsende Zahl älterer Menschen zugänglich machen

Gemeinschaftlich zu wohnen ist nicht nur ein weitverbreitetes Bedürfnis, es bietet auch - besonders für Ältere - viele praktische Vorteile. Die Frage ist also, wie die Vorzüge gemeinschaftlichen Wohnens für möglichst viele ältere Menschen erschlossen werden können. Dazu muss man zunächst ganz nüchtern feststellen, dass Gruppenwohnprojekte in kleinen Gemeinschaften z. B. mit 6-8 Personen trotz ihrer großen Bedeutung als Vorreiter und Schrittmacher eine quantitativ unbedeutende Wohnform sind. Schlimmer noch, dies wird aller Voraussicht nach auch in Zukunft so bleiben. Selbst ein explosives Wachstum wie eine Verzehnfachung, eine Verhundertfachung  der Zahl der Gruppenwohnprojekte würde nicht ausreichen, diese Wohnform in Deutschland zu einer quantitativ bedeutsamen Größe zu entwickeln. Man muss also fragen, ob es nicht auch andere Wege gibt, die Vorzüge des gemeinschaftlichen Wohnens für die wachsende Zahl älterer Menschen zu erschließen. Auf einen möglichen Weg möchte ich hier aufmerksam machen. Es gibt einen Typus von Quartieren, der ein besonders geeigneter Ausgangsort für die Organisation von Formen des gemeinschaftlichen, altersgerechten Wohnens wäre: Dies sind die meist nach dem Krieg neu gebauten Wohnsiedlungen. Sie haben bereits einen hohen Anteil älterer Bewohner. Zudem haben diese Wohngebiete typischerweise über gute Voraussetzungen, wie z.B. die stadträumliche Lage, die Eigentümerstruktur und die baulichen Gegebenheiten. Sie sind als Ort der Einführung gemeinschaftlicherer Wohnformen geradezu prädestiniert.

Der größte Vorteil solcher älter werdenden Wohngebiete liegt zunächst in ihrer Bewohnerstruktur selber: Ein hoher Anteil von über 65-Jährigen lässt nicht nur auf einen gewissen Hilfsbedarf, sondern vor allem auf eine große Zahl rüstiger Älterer schließen, und bietet damit ein hohes Potenzial für gegenseitige Hilfe und Unterstützung. Des Weiteren handelt es sich bei diesen Wohngebieten in der Regel um „gewachsene" Quartiere. Die wohnungsnahen sozialen Netze müssen nicht völlig neu aufgebaut werden, sie bedürfen jedoch in aller Regel der Förderung. Es sind vielfach Wohnsiedlungen, die in den 50er und 60er Jahren entstanden sind und sich aus heutiger Sicht in stadtnaher Lage befinden. Oft gibt es relativ viele Grünflächen und die Infrastrukturausstattung ist vergleichsweise gut, ebenso die Anbindung an das städtische Verkehrsnetz. Da sie überwiegend im Sozialen Wohnungsbau entstanden sind, gehören diese Siedlungen in der Regel Wohnungsgesellschaften oder Genossenschaften und damit relativ großen und handlungsfähigen Organisationen. Dies ist für mögliche Umgestaltungen im Quartier prinzipiell ein großer Vorteil - im Gegensatz z.B. zu einer Struktur mit vielen kleinen Privateigentümern oder auch Gruppen von Privatleuten mit geringem Eigenkapital und ohne professionelles Immobilien-Know-how. Zudem muss in und mit diesen Siedlungen schon aus Wettbewerbsgründen etwas passieren. Dies mag im wirtschaftlich starken Südwesten Deutschlands noch keine größere Rolle spielen, doch wächst - vor allem im Osten - die Zahl der Wohnungsgesellschaften, die Probleme mit ihren in der Nachkriegszeit erbauten Siedlungen haben. Umfangreiche bauliche Veränderungen dieser Bestände stehen an. Dadurch können bei Planung und Realisierung von Umgestaltungen, wie etwa beim barrierearmen Umbau, deutliche Kostenvorteile erzielt werden. Die Masse macht's eben.

Für das alternsgerechte Wohnen bringen solche Siedlungen Qualitäten mit, die man auf den ersten Blick nicht vermutet: In vielen Gebäuden der 60er-Jahre Siedlungen ist der Aufzug bereits Standard, und damit das teuerste Element eines barrierearmen Umbaus bereits vorhanden. Gewerbeflächen stehen meist deshalb leer, weil die verfügbaren Verkaufsflächen unter den heute für einen wirtschaftlich erforderlichen Quadratmetergrößen liegen. Das bedeutet aber zugleich (wirtschaftlich abgeschriebenen) Platz für Gemeinschaftsräume oder andere gemeinschaftliche Nutzungen. Auf den vielfach anzutreffenden weiten grünen Abstandsflächen ist außerdem Platz für den Neubau von Altenhilfe-Service-Stationen oder von altersgerechten Wohnungen für Menschen aus dem Quartier.

Ausgerechnet in der langweiligen und spießigen Wohnungs-Nachkriegsmassenware sind also ungeahnte Qualitäten für ein gemeinschaftlicheres Wohnen älterer Menschen vorhanden. Zumindest besteht dort die Möglichkeit, solche Qualitäten mit einem überschaubaren Aufwand herstellen zu können. Ein typisches Beispiel für solche älter werdende Wohngebiete ist die Nordweststadt in Frankfurt am Main. In den 60er Jahren gebaut, besteht sie aus 7.800 Sozialwohnungen, in denen Anfang der 70er Jahre 25.000 Menschen lebten. Die Erstbezieher waren, ganz wie von den Erbauern gewollt, in aller erster Linie Familien mit Kindern. Dies ist nun über 30 Jahre her. Die Pioniergeneration von damals, die noch ihre Gummistiefeljahre auf der Baustelle erlebte, ist heute im Rentenalter, überwiegend in ihren 60ern und durchaus sehr rüstig und ohne besonderen Hilfebedarf. Nach außen hin erscheint die Nordweststadt als ein unauffälliges Stadtquartier.

Bauliche Veränderungen und Stärkung sozialer Netze

Was kann in solchen Quartieren getan werden? Die folgenden Hinweise sehen diese Frage aus der Perspektive der Kommune, der Wohnungseigentümer oder der sozialen Dienstleister. Dabei geht es stets um zwei Dinge zugleich: Um bauliche Veränderungen und um die Stärkung sozialer Netze. Beispiele für mögliche Maßnahmen sind:

  • Neubau alternsgerechter Wohnungen im Quartier, also genau dort, wo die Nachfrage ist
  • barrierearmer Umbau von Wohnungen, z.B. im Zuge von Modernisierungsmaßnahmen
     
  • die Öffnung von Altenhilfeeinrichtungen zum Quartier hin, z.B.. die Ausweitung des Hilfe- und Betreuungsangebots mit Blick auf die Anwohner oder die Eröffnung eines Mittagstischs als Stadtteilcafeteria
  • Maßnahmen zur Förderung des gemeinschaftlichen Miteinanders im Quartier, wie z.B. die Gründung von Nachbarschaftsvereinen
  • der organisierte Hilfetausch, Tauschringe, Seniorengenossenschaften und andere Modelle
  • die Vermittlung (bezahlbarer) Hilfen vor allen für Haushaltshilfe, Renovierung, Gartenarbeit u.s.w., denn die ehrenamtliche Putzfrau ist eine seltene Spezies.

    Unterstützung erfährt all dies durch:
  • eine kommunikative Wohnumfeldgestaltung: man muss sich auch außerhalb der Wohnung aufhalten wollen
  • Räume für gemeinschaftliche Aktivitäten und die Förderung dieser Aktivitäten, denn ohne Leben werden diese Räume zu Abstellkammern
  • dies kann bis zu „altersgerechten Wohnzonen" hinführen, wo alles zusammen passt: barrierefreie Wohnungen und Häuser, ein kommunikativ gestaltetes Wohnumfeld, lebendige Gemeinschaftseinrichtungen, in der Nähe erreichbare professionellen Hilfen und mehr.

Altersstruktur genau analysieren

Aber auch wenn verschiedenste Potenziale in einem Quartier vorhanden sind, so bedarf es doch gezielter Angebote des gemeinschaftlicheren Wohnens für Ältere. Grundlage ist stets eine Analyse der Ausgangssituation. Leider wird diese Analysephase oft übersprungen. Ein geradezu klassischer Fehler ist der gedankliche Kurzschluss, von der Zahl der über 65-Jährigen auf einen erhöhten Hilfe- oder gar Pflegebedarf zu schließen. Es ist ein großer Unterschied, ob die über 65-Jährigen im Schnitt Anfang 70 oder eher Ende 80 sind.

Die folgenden Fragen klingen zwar etwas banal, sind in es in der Umsetzung jedoch nicht:

1. Liegen Daten über die Altersstruktur des Quartiers vor, idealerweise in Fünf-Jahres-Klassen (60 bis 65 usw.) vor? .

2. Wer wohnt wo und wie? Die reine Altersstatistik sagt noch nichts darüber aus, wo und wie genau die Älteren im Quartier wohnen. In welchen Straßen, in welchen Etagen, in welchen Wohnungstypen, in welchen Haushalten leben sie? Wie ist der bauliche Zustand und die Ausstattung ihrer Wohnungen? Über diese Informationen des Wohnungs- und Haushaltsmikrokosmos im Quartier verfügen am ehesten die „Quartiersexperten": Hausmeister, Wohnungsverwalter und soziale Hilfsdienste.

3. Wer hilft heute wem? An wen wenden sich die Älteren, wenn sie Hilfe und Unterstützung bei Krankheit, Pflegebedürftigkeit, im Haushalt o.a. benötigen? Welche praktischen Hilfen gibt es bereits im Stadtteil: Liefert z.B. der Lebensmittelmarkt ins Haus? Welcher Arzt macht Hausbesuche? Sehr informativ ist die Einschätzung der typischen „Hilfemakler" wie Ärzte, Kirchengemeinden und professionelle Hilfs- und Sozialdienste.

4. Wie verhält es sich mit dem Infrastrukturangebot und der Barrierefreiheit im Wohnumfeld? Während hier in erster Linie ein baufachlich geschulter Blick erforderlich ist, kann auch die Befragung der „eigentlichen" Experten, wie z.B. der Gehbehinderten oder Hochaltrigen aus dem Quartier, sehr aufschlussreich sein.
 

Wie ein gemeinschaftlicheres Wohnen auch im Quartier möglich ist, sollen die folgenden Beispiele illustrieren. Sie zeigen jedoch immer nur Teilaspekte des Möglichen.

Beispiel: Modernisierung und Nachverdichtung

Hamm-Süden, eine typischen 50er-Jahre Wohnsiedlung des Sozialen Wohnungsbaus: Die 430 Zwei- und Drei-Raum-Wohnungen werden von rd. 1.000 Mietern bewohnt. Der Ausstattungsstandard war veraltet, Kohle- und Ölofenheizung dominierten. Der Anteil älterer Mieter ist hoch, die Wohnungsgesellschaft rechnet daher mit einem steigenden Bedarf an barrierefreien Wohnungen. Trotz des eher tristen Äußeren verfügt das Quartier über großzügige Grünflächen und eine gute Infrastrukturausstattung. Im Kontext umfangreicher Modernisierungsmaßnahmen dieses Wohnungsbestandes hat das Wohnungsunternehmen eine Nachverdichtung im Quartier vorgenommen: Es wurde ein Gebäude mit 24 barrierefreien Mietwohnungen errichtet, mit Wohnungen zwischen 50 und 67 qm Größe. Die im ersten Förderweg des sozialen Wohnungsbaus errichteten Wohnungen wurden 2003 dann überwiegend von älteren Mietern aus dem Quartier bezogen. Hervorzuheben ist, dass das Gebäude über Gemeinschaftsräume verfügt.

Beispiel: Stärkung der sozialen Netze im Quartier

Schwerin-Neuzippendorf, eine Plattenbausiedlung aus den 1960er Jahren:  Hohe Fluktuation, Leerstände und den Wegzug einkommensstärkerer Haushalte lassen den Anteil der älteren Bewohner im Quartier steigen, denn sie sind es, die zurückbleiben. Zugleich bestehen nur sehr wenige soziale und kulturelle Angebote. Zur Stärkung der sozialen Netze im Quartier hat die Wohnungsgenossenschaft den Verein „Hand in Hand - Verein für nachbarschaftliches Wohnen" ins Leben gerufen. Dieser Verein entfaltet  umfangreiche Aktivitäten: Es entstehen Nachbarschaftstreffs mit Bewohnerbeiräten, die Feste organisieren und durch Freizeit- und Kulturangebote den Stadtteil beleben. In enger Zusammenarbeit mit dem Nachbarschaftsverein setzt die Wohnungsgenossenschaft Wohngebietsbetreuer ein, die Rundgänge vornehmen, Bewohner informieren und soweit möglich kleinere Bewohnerinitiativen unterstützen. Die Wohngebietsbetreuer sind zugleich Brücke zum sozialen Management der Wohnungsgenossenschaft: Sie beraten die älteren Bewohner bei Fragen der Wohnungsanpassung und übernehmen, sofern erforderlich, auch das Management von Umzügen in eine andere, altersgerechte Wohnung.

Beispiel: Stadtteil-Hilfenetz

Im Frankfurter Quartier Engelsruhe ist mit Unterstützung eines kirchlichen Trägers eine Hilfevermittlung entstanden, die sich an die alten, kranken und behinderten Menschen im Quartier richtet. Vermittelt werden in erster Linie Hilfen zur Haushaltsführung und bei Arbeiten rund um den Haushalt. Die Helfer stammen zumeist aus dem Stadtteil selber, der überwiegend von Migranten und älteren Arbeiterhaushalten bewohnt wird. Für die Hilfeleistungen werden Stundenlöhne gezahlt, die sich an den ortsüblichen Schwarzarbeitspreisen orientieren. Dass es dennoch gelingt, ein legales und versichertes Arbeitsangebot zu schaffen, liegt an einem speziellen Modell, das sich auf die Zuverdienstregelungen für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger stützt.

Beispiel: Kommunikative Wohnumfeldgestaltung

Ein weiterer Ansatzpunkt für die Förderung gemeinschaftlicheren Wohnens im Quartier ist die kommunikativere Gestaltung des Wohnumfeldes, ein wichtiges Thema für die 50-60er Jahre-Quartiere. Die Lage dort ist meist durch große Grün- und Abstandsflächen, aber wenig Anreize zum Aufenthalt im Freien gekennzeichnet. Die vorhandenen Angebote - Spielplätze und Wäschestangen - werden nur noch selten benutzt, was angesichts des fortgeschrittenen Alters der Bewohner und des Fortschritts der Haushaltstechnisierung auch nicht verwunderlich ist. Die Wohnumfeldgestaltung mit ihren harten Übergängen zwischen ganz privaten und völlig öffentlichen Räumen stützt das Verhalten der Bewohner, sich überwiegend in private Bereiche - nämlich die Wohnungen - zurückzuziehen und die Grünflächen zu meiden. Dem Gemeinschaftsgedanken ist das natürlich nicht zuträglich. Es muss aber nicht immer eine aufwändige Freiraumgestaltung sein, auch kleine Maßnahmen wie Sitzplätze an geeigneten Orten in der Nähe des Hauseinganges können viel bewirken.

Fazit

Gemeinschaftliches Wohnen - oder genauer: gemeinschaftlicheres Wohnen – ist auch im Quartier möglich. Besonders die Quartiere, in denen schon heute viele ältere Menschen leben, sind für die Umsetzung solcher Ansätze besonders geeignet. Hier entsteht ein breites Handlungsfeld für Kommunen, Wohnungsgesellschaften und Wohlfahrtspflege. Es ist eine Umkehrung des bisher üblichen Weg zum gemeinschaftlichen Wohnen: Statt „Gemeinschaft sucht ein Wohnquartier“ heißt es hier „Wohnquartier sucht Gemeinschaft".

Der Autor: Dr. Tobias Robischon ist Wissenschaftlicher Referent der Schader-Stiftung

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