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White Days for Future?

Artikel vom 03.03.2021

Timon Goertz, 2019 (Shutterstock)

Klimaschutz braucht die postkoloniale Brille. Ein Blogbeitrag von Lisa Freieck.

Klimaschutz von wem und für wen?

Ich las einen Artikel von Yasmine M'Barek in der taz, als ich zum ersten Mal über die Formulierung „White Days for Future“ stolperte. Eigentlich stolperte ich nicht wirklich, da mir das angesprochene Problem sofort einleuchtete: Die Klimabewegung, die zugleich wohl derzeit stärkste politische Jugendkultur, hat ein Rassismusproblem. „Das Gefühl von weißer Mittelschicht spiegelt sich in den Antworten der Politik und Gesellschaft wider“, schreibt M'Barek über die aktuellen Postulate und Strategien der Fridays for Future-Bewegung. Und damit trifft sie den Nagel auf den Kopf: Fridays for Future ist eine aktivistische Szene, die sich zwar häufig dezidiert links positioniert, die aber vor der machtvollen Dynamik symbolischer Ausschlüsse und partikularer Interessen nicht gefeit ist. Der (kapitalismuskritische) Aufruf zu bewusstem und nachhaltigem Konsum etwa wirkt ausschließend, wenn er finanzielle Mittel und soziale Netzwerke voraussetzt, über die nicht alle Beteiligten verfügen. Rassismus durchzieht als historisch gewachsenes Verhältnis von De-/Privilegierung alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens – auch dort, wo solidarische Haltungen und die Verfolgung gemeinsamer politischer Ziele es nahelegen, sich auf der richtigen Seite zu wähnen.

Paternalismus vs. Partizipation: Klimaschutz als zivilisatorische Mission

Was aber sagt es aus, einer politisch und soziokulturell so wichtigen Bewegung wie Fridays for Future Rassismus zu attestieren? Klimaschutz, Klimagerechtigkeit und alle Debatten darum sind in der Mitte der Zivilgesellschaft angekommen, und das ist gut so. Wir erleben aktuell eine Politisierung junger Menschen, wie sie zuletzt im Kontext der 68er-Bewegung stattgefunden hat. Diese Entwicklungen ob des wenig diversen Erscheinungsbildes für bedeutungslos und falsch zu erklären, wäre sicherlich wenig hilfreich. Helfen würde es dagegen, zum besseren Verständnis und zur Vermeidung eines wenig produktiven Moralindividualismus, die postkoloniale Brille aufzusetzen. Dann würde sogleich auch deutlich, dass Rassismus weder ein Problem von individuellen Fehleinstellungen ist, noch dass er beim Thema Klimaschutz alleine in der aktivistischen Szene auftritt. Klimaschutzdebatten umgeben seit jeher das Problem, dass globale Dominanzverhältnisse in Wissenschaft und politischer Praxis kaum reflektiert werden. Insbesondere gilt das für die eurozentrische Ausrichtung politischer und wissenschaftlicher Nachhaltigkeitskonzepte. Ungleiche Dominanzverhältnisse spiegeln sich zum Beispiel auch in der obligatorischen Frage wider, was Staaten des Globalen Südens beim Klimaschutz vom Globalen Norden lernen können. In dieser Frage steckt ein klassisches koloniales Narrativ: die Vorstellung von Weltgeschichte als lineare Fortschrittsentwicklung, an deren Spitze als Maßstab das aufgeklärte und zivilisierte Europa steht. Während es im Diskurs von Aufklärung und Kolonialismus darum ging, kolonisierten Staaten das Menschsein beizubringen, steht der globale Nachhaltigkeitsdiskurs unter dem Vorzeichen, dem Globalen Süden Entwicklungsschritte zum Schutz und zum Erhalt von natürlichen Ressourcen zu vermitteln. Ökologische Krisenzustände und materielle Abhängigkeitsverhältnisse, die als unmittelbares Ergebnis aus der imperialen Ausbeutungsstrategie des europäischen Kolonialismus hervorgehen, werden zugunsten einer paternalistischen Geste des Helfens beim Sich-Hin-Entwickeln systematisch ausgeblendet.

Solidarisch, divers, widersprüchlich

Angesichts dieser strukturellen Zusammenhänge kann die Fridays for Future-Bewegung aus einer rassismuskritischen und postkolonialen Selbstreflexion im Grunde nur gestärkt hervorgehen. Denn gegenüber politischen Programmen und wissenschaftlichen Konzepten hat sie den entscheidenden Vorteil, dass solidarische Impulse und soziale Fragen immer schon im Fokus stehen. Die selbstkritische Frage nach weißer Dominanz und De-/Privilegierung muss diese Dynamik nicht zwangsläufig ausbremsen, sondern kann ein echter Game Changer sein, um die eigenen politischen Ziele als solche ernst zu nehmen und partizipative Synergieeffekte anzustoßen. Hierzu gehört auch die Einsicht, dass Klimaschutzinitiativen, sofern sie authentisch im Sinne einer solidarisch gestalteten Debatte sein wollen, immer auch innere Widersprüche und Kontroversen beinhalten müssen. Jugendkulturen einen einheitlichen Stempel zu verpassen war noch nie eine gute Idee – und sie ist es im Fall von Fridays for Future allemal nicht.

Für eine klimagerechte Zukunft „ist es nötig, global und divers zu handeln“, so Yasmine M'Barek. Fangen wir heute damit an.

Quelle:

M'Barek, Yasmine: „Fridays for Future“-Bewegung: Zukunft nicht nur für die Elite. Artikel in der taz, erschienen am 17.04.2019. Online verfügbar unter: https://taz.de/Fridays-for-Future-Bewegung/!5589135/  (letzter Abruf am 05.03.2021).

von Lisa Freieck M.A.

Lisa Freieck ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik an der Technischen Universität Darmstadt. Sie ist im Projekt „Vielfalt bildet! Rassismuskritische Bildungsarbeit gemeinsam gestalten“ tätig. Sie ist Mitveranstalterin des öffentlichen Podiumsgesprächs „White Days for Future? - Aktuelle Klimaschutzdiskurse aus postkolonialer und machtkritischer Perspektiv“, das am 18. März 2021 digital aus der Schader-Stiftung gesendet wurde.
 

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Corinna schrieb am 17.03.2021 um 00:50 Uhr
Danke für den Denkanstoß - sehr treffend und gut geschrieben!
Mit einer afrikanischen Perspektive auf dieses Thema befasst sich auch eine Diskussion der Leuphana Universität am 19.03.21: https://www.leuphana.de/news/termine/ansicht/2021/03/19/postponed-discussion-how-white-media-has-silenced-african-voices-in-the-global-environmental-disc.html
Viele Grüße Corinna
S. Neumann schrieb am 11.03.2021 um 01:31 Uhr
... haben Sie mal nachgefragt, wie sich zufällig(!) weiße Kinder und Jugendliche fühlen und was sie daraus schließen, wenn sie z.B. Ihren Text hier lesen? Haben Sie mal Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund gefragt, ob sie das Thema interessiert, und vor allem, ob sie sich z. B. durch Ihren Text angeregt fühlen, sich für die Ziele von Fridays for Future einzusetzen? Geht es hier um die Rettung unser aller Lebensgrundlagen oder um die Schaffung neuer, positiv diskriminierender Disparitäten und rückwärtsgewandtem Identitarismus, bei dem das Ziel der gen. Rettung hinten runterfällt? ...

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