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Dimensionen verantwortlichen Handelns

Artikel vom 14.06.2019

Der Begriff des ehrbaren Kaufmanns beziehungsweise des ehrbaren Wissenschaftlers verändert sich. Neben Konzepten wie Corporate Governance, Compliance, Corporate Social Responsibility oder Fairness prägen die individuell priorisierten Werte deutlich, wie verantwortungsvoll jeder und jede Einzelne handelt. Von Klaus-Michael Ahrend

Von verantwortungsvollen Wissenschaftlern und verantwortungsvollen Kaufleuten

„Mein Sohn, sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, dass wir bey Nacht ruhig schlafen können.“1

Die Wahrnehmung von Verantwortung in der Forschung und im Unternehmensalltag erschöpft sich auf den ersten Blick in der Einhaltung von Gesetzen. Der gesetzestreue Bürger, sei er eine Kauffrau, ein Kaufmann, eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler, muss sich an die geltenden Gesetze halten (zum Beispiel an die EG Verordnung 428/2009 über die Ausfuhrkontrolle von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck). Dazu kommt die Verantwortung für die auf Basis des Rechtssystems vereinbarten Verträge.

Es ist bekannt, dass Deutschland nicht nur führend bei der Steuergesetzgebung ist, sondern auch eines der Länder mit den meisten juristischen Vorgaben. Dabei ist das deutsche Rechtssystem dem von Ländern wie Österreich, Schweiz oder auch Griechenland ähnlich. Andere Rechtssysteme basieren wie in England und den Vereinigten Staaten auf dem Common Law, das islamische Recht basiert auf der Scharia. Es wird deutlich, dass sich international die Verantwortung durch das Erfüllen der Rechtsvorschriften unterscheidet. Die Unterschiede liegen einerseits im juristisch regulierten Umfang (in Breite und Tiefe) und andererseits in der Art und Weise der juristisch definierten Inhalte (etwa im Umgang mit Gentechnik in der Forschung).

These 1: Das geltende Rechtssystem prägt das verantwortliche Handeln jedes Individuums. Sie unterscheiden sich international deutlich.

Rechtliche Dynamik

Neue Gesetze beinhalten üblicherweise eine Gesetzesfolgenabschätzung. Dadurch sollen die politischen Ziele möglichst effizient und mit möglichst geringen Belastungen für alle Betroffenen erreicht werden. Entsprechend umfasst die Überprüfung unter demokratischer Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern auch Aspekte der Nachhaltigkeit in der Gesetzeswirkung. Damit wird deutlich, dass die Verantwortung zum Beispiel auch Fragen einer gerechten Verteilung, den Umgang mit negativen Wechselwirkungen des eigenen Handelns oder die Akzeptanz des eigenen Handelns innerhalb der Gesellschaft betreffen kann. 

In den Impact Assessment Guidelines der Europäischen Kommission werden für neue Gesetze sowie für weitere grundsätzliche Beschlüsse der EU Prüfungen der Wirkung auf die Ökonomie, die Ökologie und Soziales einbezogen.2 Im Hinblick auf die ökologischen Auswirkungen sind folgende Bereiche einer Prüfung zu unterziehen: Klima, Verkehr und Energienutzung, Luftqualität, Artenvielfalt, Flora, Fauna und Landschaften, Wasserqualität und -ressourcen, Bodenqualität und -ressourcen, Landnutzung, erneuerbare und nicht erneuerbare Ressourcen, die ökologischen Folgen von Unternehmens- und Verbraucheraktivitäten, Produktion/Entstehung/Recycling von Abfällen, die Wahrscheinlichkeit oder das Ausmaß von Umweltrisiken, Tierschutz, weltweite ökologische Folgen.

Für die Abschätzung der sozialen Wirkungen von Beschlüssen werden folgende Bereiche analysiert: Beschäftigung und Arbeitsmärkte, Normen und Rechte hinsichtlich der Arbeitsplatzqualität, soziale Integration und Schutz bestimmter Gruppen, Geschlechtergleichstellung, Gleichbehandlung und Chancengleichheit, Nichtdiskriminierung von Einzelpersonen, Privat- und Familienleben, personenbezogene Daten, Governance, Teilhabe, ordnungsgemäße Verwaltung, Zugang zu Gerichten, Medienethik, Öffentliche Gesundheit und Sicherheit, Kriminalität, Terrorismus und Sicherheit, Zugang zu Sozialschutz-, Gesundheits- und Bildungssystemen und Auswirkungen auf diese, Kultur, Soziale Folgen für Drittländer.

These 2: Die Dynamik der rechtlichen Entwicklung ist ein Spiegelbild anderer Kategorien, die ein verantwortungsvolles Handeln umfasst.

Die Wirkung beachten … und die Nebenwirkungen

Jeder Mensch möchte möglichst gut leben. Dazu gehört auch, den eigenen Interessen nachzugehen, die Dinge zu tun, die einem liegen und möglichst erfüllend sind. Aus der Verantwortungs-Perspektive hat diese individuelle Sinn-Suche unmittelbare Auswirkungen. Die Wirkung des Handelns der Wissenschaftler oder Kaufleute auf ihrer Sinn-Suche kann positiv oder negativ, stark oder schwach für viele andere Menschen sein. Entsprechend zielt verantwortungsvolles Handeln auf eine positive Sinn-Stiftung für möglichst viele Menschen. Dies kann zum Beispiel in der Schaffung von Arbeitsplätzen, in der Entwicklung von Wohlstand oder in der Verbesserung der Gesundheitssituation der Menschheit liegen.

Das Handeln mit Bedacht auf die Wirkung lässt sich auch aus der Risikoperspektive betrachten: das Centre for the Study of Existential Risks in Cambridge3 befasst sich mit den Gefahren, die die Existenz der Menschheit bedrohen. Als solche zählen unter anderem Krankheitskeime und neue Technologien (wie synthetische Biologie, Geoengineering oder künstliche Intelligenz). Der verantwortungsvolle Wissenschaftler sucht Wege, diese Gefahren zu reduzieren. Oder er verzichtet auf Forschung, die die Eintrittswahrscheinlichkeit oder den Schaden der Gefahren mehrt.

These 3: Ein verantwortungsvolles Handeln zielt auf Sinn-Stiftung der Ergebnisse beziehungsweise Wirkungen für möglichst viele andere Menschen.

Aber Verantwortung beschränkt sich nicht darauf, Gesetze einzuhalten und Wohlstand zu ermöglichen! Robert F. Kennedy sagte es vor über 50 Jahren so: „Even if we act to erase material poverty, there is another greater task, it is to confront the poverty of satisfaction … that afflicts us all. Too much and for too long, we seemed to have surrendered personal excellence and community values in the mere accumulation of material things. Our Gross National Product, now, is over $800 billion dollars a year, but that Gross National Product – if we judge the United States of America by that – that Gross National Product counts

  • air pollution and cigarette advertising,
  • and ambulances to clear our highways …,
  • … special locks for our doors and the jails for the people who break them,
  • … the destruction of the redwood and the loss of our natural wonder …,
  • … napalm and … nuclear warheads and armored cars for the police to fight the riots,
  • … the television programs which glorify violence in order to sell toys to our children.

Yet the gross national product does not allow for the health of our children, the quality of their education or the joy of their play. It does not include the beauty of our poetry or the strength of our marriages, the intelligence of our public debate or the integrity of our public officials. It measures neither our wit nor our courage, neither our wisdom nor our learning, neither our compassion nor our devotion to our country, it measures everything in short, except that which makes life worthwhile.“4

Und wie ist der Stand? Seit 1970 ist der Biodiversitätsindex weltweit um über 50% gesunken, die jährlichen Treibhausgasemissionen haben sich fast verdoppelt, über 48% der tropischen und subtropischen Wälder wurden abgeholzt – das alles bei einer verdoppelten Weltbevölkerung. Wir leben in einer Welt mit offenkundig suizidalen Merkmalen.5

Ein hoffnungsvolles Gegenbeispiel ist der „March for Science“, eine internationale Großdemonstration für den Wert von Forschung und Wissenschaft und gegen „Fake News“. Sie fand erstmals am 22. April 2017 in mehr als sechshundert Städten weltweit statt, zuletzt am 14. April 2018. Weitere gute Beispiele finden sich zum Beispiel in der Spiegel-Reihe „Früher war alles schlechter“.6 Also sollten wir nicht resignieren, sondern Verantwortung tragen!

Tugendhaftes Handeln

Jeder empfindet eine Vielzahl von Verpflichtungen, seien sie gesetzlicher Natur oder seien sie der Moral oder einem tugendhaften Handeln geschuldet. Wer entscheidet, was die richtigen Tugenden sind? Sollen ehrbare Kaufleute und ehrbare Wissenschaftler die Tugend der Bürger fördern? Oder sollen ehrbare Kaufleute beziehungsweise ehrbare Forscher dafür belohnt werden, wenn sie die „richtigen“ Tugenden erfüllen? Wie nah ist dann das chinesische „Sozialkredit“-System für die Belohnung des „besseren“ Bürgers?

Der Begriff des ehrbaren Kaufmanns wurde im Mittelalter geprägt, damals vor allem für selbständige Kaufleute. Immer noch aktuell ist der Begriff, unter anderem weil jede Industrie- und Handelskammer durch den Gesetzgeber aufgerufen ist, für Anstand und Sitte des „ehrbaren Kaufmanns“ zu wirken (§ 1 Abs. 1 IHKG). Dabei ist der Begriff im IHK-Gesetz nicht weiter definiert und entfaltet bislang auch keine Rügemöglichkeit. Gemäß der Definition des Zusammenschlusses „Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg e.V.“ (VEEK)7 handeln ehrbare Kaufleute nach folgendem Leitbild:

  • Der Ehrbare Kaufmann ist weltoffen und freiheitlich orientiert.
  • Der Ehrbare Kaufmann steht zu seinem Wort, sein Handschlag gilt.
  • Der Ehrbare Kaufmann entwickelt kaufmännisches Urteilsvermögen.
  • Der Ehrbare Kaufmann ist Vorbild in seinem Handeln.
  • Der Ehrbare Kaufmann schafft in seinem Unternehmen die Voraussetzungen für ehrbares Handeln.
  • Der Ehrbare Kaufmann legt sein unternehmerisches Wirken langfristig und nachhaltig an.
  • Der Ehrbare Kaufmann hält sich an das Prinzip von Treu und Glauben.
  • Der Ehrbare Kaufmann erkennt und übernimmt Verantwortung für die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
  • Der Ehrbare Kaufmann tritt auch im internationalen Geschäft für seine Werte ein.

Neben dem Bekenntnis zur Einhaltung der Gesetze umfasst die Aufzählung verschiedene Tugenden wie Toleranz, Ehrlichkeit, Ernsthaftigkeit, Höflichkeit, Wertschätzung, Klugheit, Nichtdiskriminierung, Verbindlichkeit, Verlässlichkeit oder vorbildhaftes Verhalten. Sicherlich sollten diese Tugenden auch die Grundlage für die meisten verantwortungsvoll handelnden Kaufleute und Wissenschaftler sein. Bei ehrbaren Wissenschaftlern kommen sicherlich weitere Tugenden hinzu, wie Unabhängigkeit im Handeln, Rigidität in den Methoden, Nachvollziehbarkeit des Vorgehens, Vermeidung von Plagiaten, ethischer Umgang mit Forschungsobjekten und Forschungssubjekten oder Transparenz bei der Verwendung von öffentlichen wie auch von Drittmitteln.

Gleichwohl verändert sich der Begriff des ehrbaren Kaufmanns beziehungsweise des ehrbaren Wissenschaftlers. Weitere Prägungen erhält der Begriff durch Konzepte wie Corporate Governance, Compliance, Corporate Social Responsibility oder Fairness. Der Trend der Individualisierung prägt auch hier, dass jeder und jede Einzelne definiert, was die individuell wichtigen Tugenden, Werte und Vorlieben sind. Umso wichtiger für die Zukunft sind hier die Prägung der jungen Generation durch Familie, Schule und Gesellschaft. Gerade den Schulen kommt immer mehr die Aufgabe zu, vorzuleben, wie man Verantwortung übernimmt – angefangen von Toleranz und gegenseitigem Respekt über das Lösen von Problemen, das Erlernen der Möglichkeiten für eine nachhaltige Entwicklung (Bildung für nachhaltige Entwicklung) bis hin zur Motivation, unternehmerisch tätig zu werden. Die individuell priorisierten Werte prägen deutlich, wie verantwortungsvoll jeder und jede Einzelne handelt.

These 4: Verantwortungsvolles Handeln ist eng mit ehrbarem oder tugendhaftem Handeln verbunden. Die individuellen Werte prägen die jeweilige Ausprägung, daher hat die künftige Werte-Bildung eine hohe Bedeutung.

These 5: Das eigene Handeln orientiert sich an den individuell für wichtig erachteten Werten. Je nach persönlicher Entwicklung und Priorisierung fällt es mehr oder weniger verantwortungsvoll aus.

Loyalität und Solidarität

Das christliche Gebot der Nächstenliebe, die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft, die Absicherung durch Sozialsysteme aufbauend auf der mittelalterlichen Allmende und die entsprechend erlebte Sozialisierung prägen das Grundinteresse am Wohlergehen der Anderen. Naturgemäß ist das Grundinteresse stärker ausgeprägt, je näher die Mitmenschen sind (Familie, Freunde, Bekannte, Mitmenschen in der Region). Neben der Verantwortung für Familie und Freunde umfasst das verantwortungsvolle Handeln von Wissenschaftlern und Kaufleuten auch die Loyalität und Solidarität gegenüber Personen und Dingen im beruflichen und erweiterten privaten Umfeld. Dazu gehören gegenseitiger Respekt, der regelmäßige Austausch und das direkte oder indirekte Unterstützen.

These 6: Verantwortungsvolles Handeln umfasst auch ein Grundinteresse am Wohlergehen der Mitmenschen. Dabei ist die gefühlte Solidarität stärker, je näher einem die Menschen sind.

„Sozialer Klebstoff“

Ausgewählte Public Values nach Ahrend (2014) – siehe Abb. 1 im Downloadbereich

Dazu kommt die Erkenntnis jedes Einzelnen, sich als Mitglied einer Gesellschaft mit Traditionen, einer Geschichte und bestimmten moralischen Werten zu verstehen. Die Loyalität zu der Gemeinschaft wächst zum Beispiel durch die Qualität der genossenen staatlich organisierten Ausbildung oder durch das persönliche genutzte Angebot an Infrastruktur und Leistungen der Daseinsvorsorge. Dazu kommt die moralische Verantwortung für die Gemeinschaft auf kommunaler Ebene, im Bundesland, im Staat, in Europa und in der Welt. Jeder und jede Einzelne hat eine Verantwortung für die positive Entwicklung der Gemeinschaft und der gemeinsamen Werte. Jeder kann einen Beitrag für den „sozialen Klebstoff“ der Gemeinschaft leisten.

Einen empirischen Beleg für die Bedeutung des „sozialen Klebstoffes“, also das Teilen von gemeinsamen Werten wie etwa Vertrauen, der Einstellung zu Arbeit, Demokratie, Marktwirtschaft und der Rolle der Geschlechter, liefert der Beitrag „Value Diversity and Regional Economic Development“. Dieser zeigt empirisch auf, dass gemeinsame Werte neben der positiven sozialen Wirkung auch die Wirtschaftsleistung (das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt) fördern.8

These 7: Durch die soziale Prägung des Einzelnen durch die Gemeinschaft hat jeder und jede Einzelne auch die Verantwortung für die positive Entwicklung der Gemeinschaft, insbesondere den Zusammenhalt.

Das geht deutlich weiter als die rechtliche Pflicht, anderen kein Unrecht zu tun. Es handelt sich um das allgemeine Interesse, den „sozialen Klebstoff“, das heißt den Zusammenhalt der Gesellschaft zu sichern. Jeder und jede Einzelne kann einen Beitrag für die kollektive Verantwortung leisten. Neben dem eigenen Handeln geht es vor allem auch darum, die gemeinsame Diskussion über die künftige Gestaltung des Zusammenhalts zu ermöglichen und mit Beiträgen zu unterstützen. Genau darin liegt eine der Stärken der Schader-Stiftung und ihres Stifters, Alois M. Schader. Die Schader-Stiftung ermöglicht den gemeinsamen Diskurs in der Zivilgesellschaft darüber, wie wir künftig gemeinsam leben wollen. Diesen Beitrag können wir in Darmstadt nicht genug wertschätzen. Dem Stifter gebührt dafür großer Dank!

Das Kümmern um den gegenseitigen Zusammenhalt, das gemeinsame Streben für den Gemeinschaftssinn, für Orte des Austauschs im öffentlichen Raum, gegen Spaltungstendenzen in der Gesellschaft, gegen die Entsolidarisierung und gegen eine übertriebene Individualisierung – das ist ein weiterer wichtiger Kern der Verantwortung von Kaufleuten und Wissenschaftlern. Dieser Diskurs und dieses Handeln umfasst auch Stolz und kritische Reflexion auf die gemeinsame Geschichte und die gemeinsamen Werte oder eben das Ermöglichen der Teilnahme Vieler an Gemeinschaft stiftenden Erlebnissen.

„There are few earthly things more beautiful than a university.“9 Aber: „… partly missing practical usability of management research.“10

In der Wissenschaft bedeutet das insbesondere die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Aspekte im Sinne einer transformativen Forschung.11 Dies umfasst neben einem Selbstverständnis der gesellschaftlichen Einbettung der Wissenschaft auch eine hohe Anwendungsorientierung von Forschung und Lehre. Neben diesem Handeln nach der Vision einer Third Mission (Transfer in die Gesellschaft, neben Forschung und Lehre) ist eine intensive Interaktion mit Wirtschaft und Bürgerschaft notwendig. Beispiele für eine engere Zusammenarbeit sind praxisnahe Bachelor-/Masterarbeiten, gemeinsame Projekte, Einbezug von praxisnahen Lehrbeauftragten, Cross-Mentoringprogramme, Mitwirkung bei Bürgerdialogen, Benennung von Wissenschaftlern für Beiräte und Aufsichtsräte und Rückkopplung der Wissenschaft durch Benennung von Praktikern in universitäre Gremien, wie z.B. in Hochschulräte). Für die Wirtschaft bedeutet das die Orientierung des Handelns an Public Values – wodurch kann das unternehmerische Handeln direkt oder über das eigentliche Handeln hinaus Beiträge für das Gemeinwohl leisten?12 Beispiele für Public Values zeigt Abbildung 1 (im Downloadbereich)13.

Die HEAG-Gruppe leistet wichtige Beiträge für den Public Value, in dem sie die Infrastruktur bereitstellt, die gemeinsam genutzt wird, öffentliche Einrichtungen unterstützt, die zum gemeinsamen Austausch dienen und Leistungen der Daseinsvorsorge erbringt, die der Großteil der Bürgerinnen und Bürger nutzt. Ein neues Angebot, das seit 2017 erbracht wird, ist das HEAG Vereinscoaching. Dabei werden Vereine im bilateralen Gespräch mit der Vereinsführung oder durch gemeinsame Veranstaltungen zu Sachthemen unterstützt. Dies umfasst Themen der kaufmännischen Führung, Konzepte für Mitgliedergewinnung und -bindung, Ansätze für die Öffentlichkeitsarbeit, allgemeine Führungsfragen oder auch Themen für die Ausgestaltung der künftigen Vereinsstrategie.

Verantwortung für die natürliche Umwelt

Typologie nachhaltiger Geschäftsmodelle nach Ahrend (2016)

Die freiwilligen Verpflichtungen des Einzelnen gehen aber über die soziale, die menschliche Gemeinschaft hinaus. Sie umfassen auch die Verantwortung für die natürliche Umwelt, für die Flora und Fauna, anders formuliert für die Schöpfung. Auch mit Bezug zu der sozialen Gemeinschaft, aber vor allem mit Bezug auf die natürliche Umwelt haben die Vereinten Nationen die Agenda 2030 entwickelt.14 Sie umfasst siebzehn Nachhaltigkeitsentwicklungsziele – die Sustainable Development Goals – (Abbildung 2 ist im Downloadbereich abrufbar; Beschreibung siehe Fußnote)15 und 169 Unterziele. In der Präambel heißt es unter anderem:

„Die Agenda 2030 verpflichtet uns, den Planeten zu schützen, damit auch künftige Generationen ein gutes Leben in einer intakten Umwelt führen können. Dazu zählen die nachhaltige Nutzung von Meeren und Ozeanen, der Erhalt von Ökosystemen und Biodiversität, die Bekämpfung des Klimawandels sowie ein nachhaltiger Umgang mit natürlichen Ressourcen.“

Wie notwendig ein verantwortungsvolleres Handeln aller Wissenschaftler und Kaufleute ist, zeigt der sogenannte Überschreitungstag, der Tag, an dem die Welt beginnt, Ressourcen zu konsumieren, die im Laufe des Jahres nicht mehr aufgefüllt werden können. Abbildung 3 (im Downloadbereich abrufbar; Beschreibung siehe Fußnote)16 zeigt, dass sich der Überschreitungstag im Kalender nach vorne bewegt.

Nachhaltigkeitsziele zugunsten der natürlichen Umwelt sind unterschiedlich leicht zu realisieren. Unternehmen und Wissenschaftler, die direkt mit Umweltwirkungen zu tun haben, können eher unmittelbar dafür Verantwortung übernehmen als andere. Gleichwohl kann indirekt oder in Randbereichen direkt jeder und jede Einzelne einen Beitrag leisten. Zum Beispiel durch die Anwendung des Deutschen Nachhaltigkeitskodexes (entweder als Unternehmen oder als wissenschaftliche Institution) oder durch die Mitwirkung an Netzwerken, die sich am Ziel der Nachhaltigkeit orientieren, zum Beispiel das Unternehmensnetzwerk B.A.U.M. e.V.17 Empfehlenswert aus der Sicht von Kaufleuten ist die Entwicklung und Anwendung von nachhaltigen Geschäftsmodellen, seien sie effektiv, effizient oder suffizient. Abbildung 4 gibt einen Überblick über die Typologie nachhaltiger Geschäftsmodelle (die Abbildung oben ist im Downloadbereich - Abb. 4 - abrufbar; Beschreibung siehe Fußnote)18.

Wissenschaftler können sich hochschulübergreifend dem Thema Nachhaltigkeit widmen. Ein Beispiel ist die „Initiative Nachhaltige Entwicklung (i:ne)“ der Hochschule Darmstadt19, aus der das Forschungs- und Umsetzungsprojekt „Systeminnovation für Nachhaltige Entwicklung – Transfer als Lernprozess in der Region (s:ne)“20 hervorging, an dem auch die Schader-Stiftung substantiell beteiligt ist. Das Projekt fokussiert Nachhaltige Entwicklung, indem es auch regionale Akteure unterstützt, gesellschaftliche Herausforderungen anzugehen.

These 8: Neben dem Bewusstsein der Wirkungen des eigenen Handelns für die natürliche Umwelt gehört zu einem verantwortungsvollen Handeln auch das Streben nach einer Minimierung von negativen Wirkungen und Risiken für das Ökosystem.

Fazit

Kategorien für verantwortliches Handeln von Kaufleuten und Wissenschaftlern nach Ahrend

Das verantwortungsvolle Handeln von Kaufleuten und Wissenschaftlern umfasst mindestens fünf Kategorien: (1) die Achtung vor der Freiheit jedes Einzelnen (durch Gesetze und Verträge), (2) die Erbringung von möglichst positiven Wirkungen für viele andere Menschen (wie Arbeitsplätze und Wohlstand), (3) das Handeln nach eigenen Werten und Tugenden, (4) das freiwillige positive Wirken für die Gemeinschaft und deren Zusammenhalt sowie (5) das Streben nach einer Minimierung negativer Wirkungen für die natürliche Umwelt (dazu Abbildung oben und Abbildung 5 im Downloadbereich; Beschreibung in der Fußnote)21.

Dabei erfolgt das verantwortungsvolle Handeln kurzfristig und langfristig. Neben rationalen Unterschieden zwischen den beiden Denk- und Handlungsweisen spielen ebenso emotionale, psychologische und kulturelle Faktoren eine Rolle.22 Trotz des typisch menschlichen Wunsches, die Komplexität der Dinge zu vereinfachen, verbleibt ein komplexes System des verantwortungsvollen Handelns von Wissenschaftlern und Kaufleuten.

Da sich die Gesellschaften verändern, ändern sich auch die allgemein in einer Gesellschaft akzeptierten Tugenden. Wissenschaftler und Kaufleute sind auch Treiber dieser Dynamik. Sie entwickeln die Gesellschaften (neben Politikern, den Bürgern und anderen) weiter. Sie definieren das Verständnis für eine gute Lebensführung, sie definieren den Rahmen mit, was verantwortungsvolles Handeln bedeutet.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der erweiterten Dokumentation des Symposiums „Die Praxis der Gesellschaftswissenschaften“, das anlässlich des 90. Geburtstags des Stifters Alois M. Schader am 16. Juli 2018 im Schader-Forum stattfand.

Klaus-Michael Ahrend: Dimensionen verantwortlichen Handelns. Von verantwortungsvollen Wissenschaftlern und verantwortungsvollen Kaufleuten, in: Alexander Gemeinhardt (Hrsg.): Die Praxis der Gesellschaftswissenschaften. 30 Jahre Schader-Stiftung, Darmstadt 2018, 204-212.

Der Autor:
Prof. Dr. Klaus-Michael Ahrend ist Vorstandsvorsitzender der HEAG Holding AG. Er ist zudem Lehrbeauftragter für Unternehmensstrategien und Corporate Governance und Honorarprofessor am Fachbereich Wirtschaft der Hochschule Darmstadt (h_da).

 

1 Mann, Thomas (1930): Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Berlin: S. Fischer, S. 190.

2 Vgl. EU (2009): Leitlinien zur Folgenabschätzung. Online verfügbar unter ec.europa.eu/smart-regulation/impact/commission_guidelines/docs/iag_2009_de.pdf (27.09.2018).

3 https://www.cser.ac.uk

4 Kennedy, Robert F. (1968): Remarks at the University of Kansas. Online verfügbar unter en.m.wikisource.org/wiki/Remarks_at_the_University_of_Kansas (27.09.2018).

5 Howes, Michael (2017): After 25 Years of Trying, Why Aren’t We Environmentally Sustainable Yet? Online verfügbar unter The Conversation, theconversation.com/after-25-years-of-trying-why-arent-we-environmentally-sustainable-yet-73911 (27.09.2018).

6 http://www.spiegel.de/thema/frueher_war_alles_schlechter

7 Vgl. www.veek-hamburg.de

8 Beugelsdijk, Sjoerd / Klasing, Mariko / Milionis, Petros (2017): Value Diversitiy and Regional Economic Development. In: The Scandinavian Journal of Economics.

9 Masefield, John (1946): Rede an der Universität von Sheffield. Online verfügbar unter The Universitiy of Sheffield, www.sheffield.ac.uk/polopoly_fs/1.169730!/file/Legacy_Brochure.pdf (27.09.2018).

10 Wolf, Joachim / Rosenberg, Timo (2012): How Individual Scholars Can Reduce the Rigor-Relevance Gap in Management Research. In: Business Research, November 2012, S. 178–196.

11 Vgl. Schneidewind, Uwe / Singer-Brodowski, Mandy (2014): Transformative Wissenschaft. Klimawandel im deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystem. 2. Auflage. Marburg: Metropolis. Sowie Munasinghe, Mohan (2009): Sustainable Development in Practice. Sustainomics Methodology and Applications. Cambridge: University Press.

12 Vgl. z.B. Ahrend, Klaus-Michael (2014): Corporate Governance in der Energiewirtschaft – zwischen Unternehmenswert und Public Value. In: Energiewirtschaftliche Diskussionsbeiträge 2-2014, S. 1–85. Online verfügbar unter Hochschule Darmstadt, www.econstor.eu/bitstream/10419/106508/1/Ahrend%20Corporate%20Governance%20in%20der%20Energiewirtschaft%2030.10.2014.pdf (27.09.2018).

13 Abb. 1 Ausgewählte Public Values. Quelle: Klaus-Michael Ahrend (2014).

14 United Nations (2015): Transforming Our World: the 2030 Agenda for Sustainable Development. Online verfügbar unter undocs.org/A/69/L.85 (27.09.2018).

15 Abb. 2 Sustainable Development Goals 2030 der UN Agenda. Quelle: www.unric.org/de/wirtschaftliche-und-soziale-entwicklung/27848 (03.12.2018).

16 Abb. 3 Voranschreitende Ressourcenübernutzung. Quelle: www.overshootday.org/newsroom/past-earth-overshoot-days (12/2018).

17 Vgl. https://www.baumev.de

18 Abb. 4 Typologie nachhaltiger Geschäftsmodelle. Quelle: Ahrend, Klaus-Michael (2016): Geschäftsmodell Nachhaltigkeit – Ökologische und soziale Innovationen als unternehmerische Chance. Heidelberg: Springer, S. 85.

19 https://ine.h-da.de

20 https://sne.h-da.de

21 Abb. 5 Kategorien für verantwortliches Handeln von Kaufleuten und Wissenschaftlern. Quelle: Klaus-Michael Ahrend.

22 Vgl. dazu Kahnemann, Daniel (2012): Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler.

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