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Ist die Liberalisierung des Marktes für Telekommunikation ein Beispiel für andere Bereiche der Daseinsvorsorge?

Artikel vom 15.08.2001

Foto: Neftali/shutterstock.com

Ist das (De-)Regulierungsmodell des Telekommunikationsmarktes als geeignetes Instrument auf andere Bereiche der Daseinsvorsorge übertragbar? Der Beitrag untersucht die für eine erfolgreiche Liberalisierung erforderlichen Voraussetzungen und stellt die Vorteile eines Wettbewerbsmarktes dar. Von Matthias Kurth

Neues Verständnis vom Staat als Dienstleistungsbetrieb

In den vergangenen Jahren ist ein erheblicher Wandel im Verständnis der Rolle des Staates und dem von den privaten Marktkräften zu regelnden Aufgaben eingetreten. Während dieser Funktionswandel durch Privatisierung, Liberalisierung, Deregulierung und verstärkten Wettbewerb bei der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen gekennzeichnet ist, steht dahinter ein grundlegend neues Verständnis vom Staat als Dienstleistungsbetrieb, der Produkte erzeugt und von den Bürgern als Kunden und nicht mehr Antragsteller. Das ökonomische Paradigma hat unter dem Begriff „Staatsmodernisierung" in den 80er Jahren einen weltweiten und schließlich sogar die Länder des früheren Ostblocks erfassenden Siegeszug angetreten, der im Ziel eines „schlanken Staates", der sich auf Kernaufgaben beschränkt, mündet und selbst den Staat mit seinen internen Strukturen, d.h. die Verwaltung ökonomischen Prinzipien unterwirft.

Die entscheidende Ursache für den Erfolg war sicher auch die Erkenntnis, dass der Staat sich in einer ausufernden Weise immer größeren Sektoren gewidmet hat, seinen Bereich, was z.B. eine Staatsquote bei einem Drittel der OECD-Staaten von über 50 % des BIP zeigt, auf immer weitere Sektoren ausgedehnt hat und die öffentlichen Bediensteten zwischen 1950 und 1998 von 2,2 Mio. auf 5,2 Mio. sich mehr als verdoppelt haben.

Paradoxerweise hat diese gigantische Expansion des Staates, die durch eine Explosion der Staatsverschuldung und ein Ansteigen der Steuer- und Abgabenquote erkauft wurde, bei den Bürgern, mit deren allgemeinem Wohl diese Ausweitung der Staatsaktivität begründet wurde, keineswegs zu mehr Glück und Zufriedenheit geführt, sondern die Klagen über Ineffizienz und Mangelverwaltung (man nehme nur den Ausbildungs- oder Gesundheitssektor) blieben wie ein Fluch dem immer eifriger agierenden Staat an den Fersen kleben.

Die Erkenntnis, dass die wachsende Expansion schlicht nicht mehr finanzierbar war und gerade die Bürger unter der Steuer- und Abgabenlast dem Staat die Loyalität aufzukündigen drohten, erleichterte den Durchbruch alternativer privater Aufgabenerfüllungen.

Man darf sich allerdings keinen Illusionen darüber hingeben, dass der alte Leviathan sich schon geschlagen gegeben hätte. Bis in das 21. Jahrhundert hinein finden auf allen Sektoren Rückzugsgefechte oder manchmal auch erfolgreiche Verteidigungen von Bastionen statt. So ist z.B. die Tatsache, dass auf europäischer Ebene noch nicht einmal bis 2010 ein verbindliches Enddatum für die Postmonopole erreichbar ist, ein trauriger Höhepunkt für Rückschläge, denn in Deutschland glaubte man schon mit dem Postgesetz von 1997 den Wettbewerb geschaffen zu haben. Dabei hatte doch zumindest in Deutschland alles so gut angefangen und die Ergebnisse der ersten Schritte für mehr Liberalisierung und Wettbewerb hätten eigentlich den Mut zum weiteren Voranschreiten gegeben.

Häufig werden diese Rückschläge allerdings nicht durch einen transparenten und argumentativ ausgetragenen Diskurs begleitet, sondern sie entstehen in einem Geflecht von Besitzstandsdenken, Macht- und Interessengegensätzen und in den schwer durchschaubaren Zonen zwischen nationaler und europäischer Verantwortung.

An dieser Stelle lohnt sich also ein Innehalten, um einige grundsätzliche Überlegungen anzustellen, die sich aus den beschriebenen Symptomen ergeben, und zu fragen:

  • Was sind denn eigentlich die Kernaufgaben des Staates?
  • Welche Güter muss bzw. soll er den Bürgern bereitstellen?
  • Wann ist eine Versorgung über den Markt besser und von welchen Kriterien hängt dies ab?

Zu den Kernaufgaben gehören sicherlich die Gewährleistung innerer und äußerer sowie sozialer und Rechtssicherheit, d.h. der Staat kann z.B. das Überwachen der Einhaltung von Regeln und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nicht privaten Wachgesellschaften überlassen, sondern muss mit eigenen Polizeikräften, Justizbeamten und einer funktionierenden Verwaltung selbst dafür sorgen.

Welche Güter zählen zur Grundversorgung im Sinne der Daseinsvorsorge?

Wenn auch diese Bereiche unstreitig zu den Kernaufgaben des Staates gehören, ist doch die weitergehende Frage zu stellen, welche Güter noch zur Grundversorgung (im Sinne der Daseinsvorsorge) zu zählen sind, deren Bereitstellung vom Staat sichergestellt werden sollte, auch wenn ihre Erbringung nicht zwingend durch den Staat erfolgen muss, wie dies der Fall bei den Kernbereichen ist. Generell sind dies sog. „Kollektivgüter"1, die durch zwei Charakteristika definiert werden. Es handelt sich dabei um Güter, die gemeinsam (kollektiv) genutzt werden können und von deren Nutzung niemand (ohne Schwierigkeiten) ausgeschlossen werden kann. Beide Eigenschaften - Nichtrivalität im Konsum und Nichtexkludierbarkeit von der Nutzung - machen ein privates Angebot schwierig oder unmöglich, weil in diesem Fall die Grundvoraussetzung für einen funktionierenden Markt auf der Nachfrageseite, nämlich die Offenbarung der Präferenzen über die Zahlungsbereitschaft, nicht oder nur in eingeschränkter Form erfüllt ist. Wenn der Staat diese Güter zur Grundversorgung rechnet und ihr Angebot (in bestimmtem Umfang) sicherstellen will, muss er sie in aller Regel ebenfalls selbst bereitstellen, weil sich aufgrund der genannten Eigenschaften (häufig) kein privater Anbieter finden wird. Als Beispiel lässt sich hier an den Bildungsbereich sowie bestimmte Kultur- und Freizeiteinrichtungen denken.

Schließlich gibt es Bereiche, die bis vor kurzem wegen Besonderheiten bei der Produktion für nicht geeignet gehalten wurden, im Wettbewerb über den Markt angeboten zu werden, weshalb der Staat in der Regel ihre Bereitstellung mit Hilfe öffentlicher Unternehmen und / oder weiterer besonderer Regulierungen wie der Vergabe von Exklusivrechten und der Ausnahme von der generellen Wettbewerbsordnung übernahm bzw. für ein ausreichendes (erschwingliches) Angebot sorgte. Es handelt sich um die klassischen Versorgungsbereiche Energie (Elektrizität und Gas), Wasser und Kanalisation, Verkehr, Post- und Telekommunikation, denen gemeinsam ist, dass ihre Produkte über ein (leitungsgebundenes) Netz erzeugt werden, dessen Aufbau hohe Anfangsinvestitionen erfordert, wodurch sunk costs (irreversible Kosten) entstehen, das dann aber durch Kostenvorteile in Form von Skalen- und Verbunderträgen gekennzeichnet ist. Wegen dieser Eigenschaften wurden diese sehr kapitalintensiven Bereiche für sog. natürliche Monopole gehalten, in denen kein Wettbewerb möglich sei, so dass dem Staat die Aufgabe des Infrastrukturaufbaus zugewiesen wurde. Hier hat sich u.a. aufgrund neuerer technischer Entwicklungen, die einen geringeren Anfangsaufwand bewirken, die Erkenntnis durchgesetzt, dass auch diese Güter besser über einen Markt, auf dem Wettbewerb herrscht, als durch den Staat, der versucht, Unternehmer zu sein, bereitgestellt werden können2 weshalb begonnen wurde, die Märkte der Versorgungsbereiche ebenso zu liberalisieren wie den bislang auch zu den sog. Ausnahmebereichen des GWB gehörenden Banken- und Versicherungssektor.

Der Markt erfüllt die Aufgabe, die von den „Bürger-Konsumenten" nachgefragten Güter in ausreichender Menge und gewünschter Qualität bereitzustellen, effizienter als der Staat, der zum einen ohne Wettbewerb keinen sog. hard budget constraints unterliegt wie ein Unternehmen, das im Wettbewerb bestehen muss, und der deswegen ineffizienter produzieren wird. Zum anderen muss der Staat in diesem Fall für die Planung der benötigten Kapazität auch die Abschätzung der Nachfrage übernehmen anstelle sie den Betroffenen bzw. Begünstigten gemäß ihren Präferenzen zu überlassen, so dass im Ergebnis häufig am tatsächlichen Bedarf vorbeiproduziert wird.

Allein die Erklärung von Gütern als zur Grundversorgung zu zählende, rechtfertigt also noch nicht die Bereitstellung durch den Staat. Es ist zusätzlich zu prüfen, ob es sich um „marktfähige" Güter handelt, d.h. ob ein normales Angebots- und Nachfrageverhalten eine Allokation über den Markt zulässt. Wenn ja, ist die (privatwirtschaftliche) Versorgung über den wettbewerblichen Markt effizienter als über den Staat, was diesen entlastet und zu gesamtwirtschaftlichen Vorteilen führt, weshalb dieser Allokationsmechanismus als Form der Bereitstellung vorzuziehen ist. Die Versorgungsgüter sind also nicht per se „Daseinsvorsorgegüter", deren Bereitstellung der Staat garantieren muss, sondern sie werden per definitionem erst dazu gemacht, indem der Staat einen bestimmten Versorgungsumfang (Mindestversorgung) zu einem für erschwinglich gehaltenen Preis vorgibt, d.h. anstelle der betroffenen Bürger über deren Nachfrage entscheidet, obwohl eine marktmäßige Bereitstellung nicht nur möglich, sondern auch besser wäre.

Solange also keine Unvollkommenheiten auf der Angebots- oder Nachfrageseite vorliegen, was bei den genannten Versorgungsgütersektoren grundsätzlich nicht (mehr) der Fall ist, führt eine Bereitstellung über einen wettbewerblichen Markt zu besseren Ergebnissen als eine staatliche Bereitstellung dieser Güter. Der Staat kann sich durch die Entlastung zum einen auf seine Kernaufgaben, bei dessen Erbringung er Vorteile gegenüber der Organisation über den Markt hat, konzentrieren und zum anderen seine neue Rolle der Schaffung und Förderung von (funktionsfähigem) Wettbewerb in den bisher von den Wettbewerbsregeln ausgenommenen Bereichen übernehmen und ausfüllen. Denn er muss zur Einleitung und zur Sicherstellung einer dauerhaften wettbewerblichen Entwicklung auf den liberalisierten Märkten für stabile Rahmenbedingungen sorgen, d.h. er muss die rechtliche Marktöffnung mittels Regulierung ökonomisch begleiten. Deregulierung verstanden als Überführung eines bisher staatlich reglementierten Bereichs in einen marktwirtschaftlich organisierten Sektor lässt sich somit in drei Schritte gliedern:

  • Privatisierung (Umwandlung öffentlicher in privatrechtliche Unternehmen),
  • Liberalisierung (rechtliche Marktöffnung durch Aufhebung der Monopolrechte),
  • Regulierung (ökonomische Begleitung durch sektorspezifische Wettbewerbsförderung).

Voraussetzungen erfolgreicher Liberalisierung am Beispiel des Telekommunikationsmarktes

Am Beispiel der erfolgreichen Deregulierung des Telekommunikationsmarktes in Deutschland wird nachfolgend dargestellt, welchen Maßnahmen entscheidende Bedeutung für die eingeleitete positive und rasche Entwicklung dieses für das Wachstum einer modernen Dienstleistungswirtschaft herausragenden Sektors zukommt.

Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Liberalisierung ist das Herauslösen bisheriger öffentlicher Unternehmen aus der staatlichen Einflusssphäre durch Privatisierung, denn nur mit einer klaren Trennung von Eigentümerinteressen und wirtschaftspolitischen Aufgaben kann Deregulierung erfolgreich gestaltet werden. Mit dem Börsengang der privatrechtlichen Deutschen Telekom AG im November 1996 ist hier der erste Schritt vollzogen worden, dem weitere Börsengänge folgten, so dass die öffentliche Hand mittlerweile nur noch 60 % (einschließlich 17 % Kreditanstalt für Wiederaufbau) hält und keinen Einfluss mehr auf das operative Geschäft nimmt.

Mit dem am 1.8.1996 in Kraft getretenen Telekommunikationsgesetz (TKG) wurde der rechtliche Rahmen für die mit der Aufhebung des Sprachtelefondienstmonopols am 1.1.1998 erfolgte Marktöffnung geschaffen. Der Gesetzgeber hat damit die Rolle des „Veranstalters" übernommen, denn nach dem ordo-liberalen Ansatz Euckens3 ist „Wettbewerb eine staatliche Veranstaltung", d.h. der Staat hat durch stabile Rahmenbedingungen dafür zu sorgen, dass sich Wettbewerb auf den Märkten entfalten kann. Im Falle der Überführung eines bisherigen Ausnahmebereichs in einen zukünftigen Wettbewerbsmarkt hat der Staat in Form einer unabhängigen Institution darüber hinaus die Aufgabe, aktiv für den Übergang vom Monopol in den selbsttragenden Wettbewerb zu sorgen, d.h. er übt als Regulierungsbehörde die Funktion eines neutralen Spielleiters oder Schiedsrichters aus. Da sich Wettbewerb nach gut 100-jährigem Monopol nicht von selbst einstellen wird, wurde der Behörde mit dem TKG ein sektorspezifisches Instrumentarium zur Förderung des Wettbewerbs im Telekommunikationsmarkt an die Hand gegeben, das über die Regeln des allgemeinen Wettbewerbsrechts, in die es insbesondere durch die Bezugnahme auf die GWB-Vorschriften zur Feststellung der Marktbeherrschung eingebunden ist, hinausgeht.4

Ohne dieses spezielle regulatorische Instrumentarium würde das aufgrund seiner bisherigen Monopolstellung Marktmacht besitzende ehemalige Staatsunternehmen versuchen, nach dem Wegfall der rechtlichen Schranken neue, ökonomische Eintrittsbarrieren zu errichten. Der Regulierer muss also vor allem den Marktzutritt offen halten. Des Weiteren muss er für ein level playing field sorgen, d.h. für materielle Chancengleichheit der neuen Marktteilnehmer, in dem er den bisherigen Monopolisten daran hindert, seine Marktmacht z.B. in Form unfairer Vertragskonditionen auszuspielen. Hierfür stehen ihm drei Hauptinstrumente zur Verfügung:

  • Missbrauchsaufsicht (§ 33 TKG),
  • entbündelter Netzzugang (§§ 33, 35 TKG),
  • Ex-ante-Entgeltregulierung (§§ 24, 25, 39 TKG).

Die spezielle Missbrauchsaufsicht ist die Verbindung zur allgemeinen Missbrauchsaufsicht des Kartellrechts und beinhaltet den Grundsatz, dass Dritten für wesentliche Leistungen dieselben Konditionen zu gewähren sind, wie sie sich das Unternehmen intern selbst einräumt (interne gleich externe Behandlung oder golden rule of non discrimination). Diese Vorschrift dient der Verhaltenskontrolle des marktbeherrschenden Unternehmens zur Verhinderung von Marktmachtmissbrauch. Die Vorschriften zur Entbündelung und zur Gewährung von besonderem Netzzugang dienen der Marktöffnung und resultieren aus der Tatsache, dass der ehemalige Monopolanbieter anfangs alleine über ein flächendeckendes Netz und damit über den alternativlosen Zugang zum Kunden verfügt, d.h. die neuen Netzbetreiber sind zunächst auf den Zugang zum Netz des Altanbieters angewiesen, um ihrerseits den Endkunden Telekommunikationsdienste anbieten zu können. Ohne diesen Zugang kann sich Wettbewerb folglich nicht entwickeln, kann also auch keine neue Infrastruktur in Ergänzung zur bestehenden aufgebaut werden, weshalb die Verpflichtung zur Gewährung von entbündeltem Zugang zu sog. bottleneck resources unerlässlich ist.

Beide Instrumente blieben jedoch ohne die Ergänzung durch das dritte - die Ex-ante-Entgeltregulierung - wirkungslos. Hierunter wird die Genehmigung von Entgelten - insbesondere für den Netzzugang - verstanden, bevor das marktbeherrschende Unternehmen sie von seinen Vertragspartnern, d.h. den neuen Netzbetreibern und Anbietern von Telekommunikationsdiensten, erheben darf. Sie werden auf ihre Orientierung an den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung geprüft, was über die Prüfung im Rahmen kartellrechtlicher Missbrauchsaufsicht hinausgeht, weil diese einen bereits im Markt befindlichen Preis auf antikompetitive Auf- oder Abschläge und diskriminierende Wirkung prüft, während im Fall der Regulierung der kostenorientierte Preis erst durch die Genehmigung in den Markt gegeben wird, das genehmigte Entgelt somit zum Startschuss für das Marktgeschehen wird.

Durch die Festlegung eines kostenorientierten Entgelts stößt der Regulierer das Geschehen dabei in die gewünschte wettbewerbliche Richtung, weil der Wettbewerb die Unternehmen zwingt, effizient zu produzieren und folglich der sich im Wettbewerb einstellende Marktgleichgewichtspreis die Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung widerspiegelt. Indem der Regulierer mit dem festgelegten kostenorientierten Entgelt den zukünftigen Preis auf einem Wettbewerbsmarkt antizipiert, agiert er somit als temporärer Wettbewerbs- oder Marktersatz (Als-ob-Wettbewerb), bis die Marktkräfte greifen und der Preismechanismus selbst die Herstellung produktiver, allokativer und dynamischer Effizienz bewirkt.

Seine Aufgabe besteht also darin, den notwendigen Impuls in Form des kostenorientierten Entgelts in den Markt zu geben, gewissermaßen das Spiel anzupfeifen, es danach aber laufen zu lassen, denn nur die Akteure selbst sind dann für ihren Erfolg oder Misserfolg verantwortlich. Wettbewerb kann nicht von oben verordnet werden, sondern entsteht von unten aus dem Markt heraus, d.h. durch die Aktionen aller Marktteilnehmer (Spieler), die Verträge über die technischen und kommerziellen Bedingungen ihres Leistungsaustauschs miteinander abschließen. Im TKG ist deshalb in § 37 bewusst die Maxime des Vorrangs der Privatautonomie verankert. Der Regulierer hat für ein Umfeld zu sorgen, in dem trotz Verhandlungsungleichgewicht faire Bedingungen sichergestellt werden, aber er darf nicht von sich aus in laufende Verhandlungen eingreifen, sondern wird erst auf Anrufung der Akteure aktiv.

Auf dem Telekommunikationsmarkt ist der Prozess in Gang gekommen, auch wenn noch kein selbsttragender Wettbewerb erreicht worden ist, so dass der Regulierer weiterhin die Schiedsrichterfunktion wahrnehmen und wachsam das Marktgeschehen beobachten muss. Gleichwohl lassen sich die erzielten Ergebnisse durchaus sehen und bestätigen die These, dass die Allokation über den Markt für deutlich bessere Ergebnisse sorgt als die Bereitstellung durch den Staat. Es gab Anfang 2001 knapp 2000 Anbieter von Telekommunikationsdiensten (vgl. hierzu und zu folgenden Angaben den RegTP Jahresbericht 2000, Bonn 2001, S. 10ff.) und die Deutsche Telekom AG hat mit über 100 neuen Netzbetreibern Zusammenschaltungsverträge geschlossen, d.h. der Marktzutritt ist in erheblichem Umfang erfolgt.

Die Wettbewerber haben einen Anteil von etwa 22 % an allen Verbindungsminuten, d.h. das Marktgeschehen wurde mit der Festlegung kostenorientierter Zusammen-Schaltungsentgelte in die richtige Richtung angestoßen. Die Eroberung eines Marktanteils durch die neuen Netzbetreiber in einer solchen Höhe ist bisher in keinem anderen Land innerhalb einer so kurzen Zeitspanne nach der Liberalisierung erreicht worden. Die große Zahl neuer Anbieter zeigt den erfolgreichen Start, wobei allerdings auch festzustellen ist, dass sich der Markt gegenwärtig in einer gewissen Bereinigungssituation befindet und eine erste Konsolidierungsphase mit Aufkäufen von, aber auch Ausscheiden erfolgloser Unternehmen, deren Geschäftsmodelle nicht wie geplant funktionierten, durchläuft, was indessen ebenfalls als Zeichen eines allmählich funktionierenden Prozesses gedeutet werden sollte.

Seit der Marktöffnung wuchs das Verkehrsvolumen im Festnetzbereich jährlich mit zweistelligen Wachstumsraten und es wurden allein in diesem Bereich über 30 Milliarden DM investiert. Davon entfiel etwa ein Drittel auf die neuen Wettbewerber, die neue Glasfasernetze aufbauten, d.h. die Liberalisierung löste einen regelrechten Investitionsboom aus, und durch die hohen Wachstumsraten wurden auch neue Arbeitsplätze geschaffen. Es lässt sich somit festhalten, dass die Deregulierung eine beispiellose Dynamik des Telekommunikationssektors bewirkt.

Die Gesprächspreise für Fern- und Auslandsverbindungen sind im Vergleich zum Zeitpunkt vor der Marktöffnung um teilweise über 90 % gesunken,5 was ebenfalls eine bis dato nicht für möglich gehaltene Größenordnung darstellt. Die Endkunden können jetzt gemäß ihren Vorstellungen zwischen einer Vielzahl von Telekommunikationsdiensten in den unterschiedlichsten Kombinationen (Produktbündel) verschiedener Anbieter wählen und in der Hälfte aller deutschen Städte über 50.000 Einwohner wegen des Zugangs über die entbündelte Teilnehmeranschlussleitung (s.o.) auch für den kompletten Telefonanschluss zu einem neuen Netzbetreiber wechseln.

Beides zusammen - größere Auswahl und reale Einkommenssteigerungen durch gesunkene Preise - bedeuten, dass durch die Bereitstellung über den Markt sowohl quantitativ wie qualitativ eine wesentlich verbesserte Versorgung mit Telekommunikationsleistungen entsprechend den Wünschen der „Bürger-Konsumenten" erreicht worden ist. Somit erübrigt sich dann auch die Frage nach der Sicherstellung einer flächendeckenden Grundversorgung zu erschwinglichen Preisen (Universaldienst), für die der Staat gemäß den in § 2 TKG genannten Regulierungszielen ebenfalls sorgen soll, weil bei Preissenkungen im genannten Umfang die Erschwinglichkeit nicht mehr gesondert festgestellt zu werden braucht. Bisher musste jedenfalls von den in § 17 TKG vorgesehenen Möglichkeiten der Universaldiensteinrichtung kein Gebrauch gemacht werden. Der Markt hat so erfolgreich gewirtschaftet, dass die Universaldienstverpflichtung überflüssig wird.

Die Entwicklung im Telekommunikationssektor, insbesondere die zuletzt erwähnten Vorteile für die Nachfrager, bestätigen folglich, dass der Staat sich aus den Bereichen, in denen der Markt für eine effizientere Allokation sorgt, zurückziehen und die Bereitstellung dieser Güter dem Markt überlassen sollte. Er sollte sich auf seine Kernaufgaben beschränken. Durch diese „Arbeitsteilung" zwischen marktmäßiger und staatlicher Leistungserbringung kommt es zu gesamtwirtschaftlichen Vorteilen (Wachstum), womit gleichzeitig die Erreichung des wirtschaftspolitischen Oberziels der Wohlstands-maximierung unterstützt wird.

Unabdingbare Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Staat durch Regulierung den Wettbewerb auf den Märkten der Versorgungsgüter sicherstellt, denn nur wenn auf den Märkten (funktionsfähiger) Wettbewerb herrscht, können sich die beschriebenen Vorteile einer Allokation über den Markt entfalten. Der Staat darf diese marktwirtschaftliche Organisation dann auch nicht durch „marktfremde" Vorschriften behindern oder durch eine falsche bzw. nach anderen Kriterien als dem oben beschriebenen Maßstab der Kostenorientierung erfolgende Preissetzung verzerren, die den wettbewerblichen Prozess in eine falsche Richtung steuern. Er darf also nicht mehr in das Geschehen eingreifen (keine diskretionären Marktinterventionen), sondern sollte, sofern sich trotz einer einsetzenden wettbewerblichen Entwicklung ein Handlungsbedarf abzeichnet, ebenfalls nur mit marktkonformen Mitteln wie z.B. einem Universaldienstfonds gegensteuern.

Wenn sich der Staat an die beschriebene Vorgehensweise zur Deregulierung und Förderung des Wettbewerbs hält, ist davon auszugehen, dass die Erfolge der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes auch auf die anderen Versorgungsbereiche übertragbar sind, wobei ein wesentlicher Erfolgsfaktor die eindeutige Konzentration auf die Schaffung von Wettbewerb in den liberalisierten Sektoren durch stabile Rahmenbedingungen und einen starken und unabhängigen Regulierer ist.

Der Autor: Matthias Kurth ist seit 2001 Präsident der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post.

Literatur

  • Eucken, W.: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Bern, Tübingen 1952.
  • Graack, C.: Telekommunikationswirtschaft in der Europäischen Union, Heidelberg 1997.
  • Martenczuk, B. / Thomaschki, K.: Der Zugang zu Netzen zwischen allgemeinem Kartell recht und sektorieller Regulierung, in: RTkom 51. Jg. (1999).
  • Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation: Jahresbericht 2000, Bonn 2001.
  • Stobbe, A.: Volkswirtschaftslehre II (MikroÖkonomik), Heidelberg 1983.
  • Weifens, Paul J. I. / Graack, C.: Telekommunikationswirtschaft, Berlin 1996.
  • Witte, E.: Neuordnung der Telekommunikation, Heidelberg 1987.

1    Vgl. hierzu z.B. Stobbe, A„ Volkswirtschaftslehre II (Mikroökonomik), Heidelberg u.a.O. 1983, S. 467-474 u. S. 496ff.

2    Vgl. hierzu z.B. Graack, C., Telekommunikationswirtschaft in der Europäischen Union, Heidelberg 1997; Weifens, Paul J.J., Graack C, Telekommunikationswirtschaft, Berlin u.a.O. 1996; Witte, E. (Vorsitz der Regierungskommission Fernmeldewesen), Neuordnung der Telekommunikation, Heidelberg 1987.

3    Vgl. hierzu Eucken, W. Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Bern, Tübingen 1952.

4    Zum Verhältnis von allgemeinem Kartellrecht und sektorspezifischer Regulierung vgl. ausführlich Martenczuk, B. / Thomaschki, K., Der Zugang zu Netzen zwischen allgemeinem Kartellrecht und sektorieller Regulierung, in RTkom, 51. Jg. (1999), S. 15ff.

5    Siehe Jahresbericht 2000, ebenda, S. 18.

 

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