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Politische Steuerungsinstrumente sozialintegrativer Stadtentwicklung - Ein Überblick

Artikel vom 16.06.2000

Die Leistungsfähigkeit der neuen sozialräumlichen Steuerungspolitik erfährt eine kontroverse Diskussion. Wie gestaltet sich in diesem Zusammenhang das Wechselverhältnis von sozialem Wandel, Stadtentwicklung und sozialintegrativen Projekten? Wie kann soziale Ungleichheit in schrumpfenden, stagnierenden und wachsenden Stadtquartieren bekämpft werden? Wie ist es prinzipiell um die Leistungsfähigkeit sozialintegrativer Steuerungsinstrumente bestellt? Von Klaus M. Schmals

1. Sozialer Wandel der Gesellschaft und Wandel der politischen Steuerungsinstrumente

Der soziale Wandel moderner Gesellschaften erfasste die einzelnen Nationalstaaten Westeuropas zu unterschiedlichen Zeitpunkten, in unterschiedlicher Schärfe und Geschwindigkeit. Eingebettet in diesen Strukturwandel entfalteten sich auch die sozialen Disparitäten auf der städtischen Ebene ungleich und ungleichzeitig. Sie sind sowohl auf ökonomische, politisch-administrative als auch auf soziokulturelle Verursachungszusammenhänge zurückzuführen (vgl. Offe 1973; Hradil 1990; Schmals 1989 und 1995). In diesem Vergesellschaftungsprozess entwickeln sich neue Formen der Mobilität, Privilegierung, Ausgrenzung und Segregation besser und schlechter versorgter Gruppen in prosperierenden, stagnierenden und benachteiligten Stadt-Räumen. Damit sind Tendenzen bezeichnet, die zentrale Bestimmungsfaktoren westeuropäischer Gesellschaften - wie soziale Verantwortung, soziale Rechte oder soziale Gleichheit - seit Mitte der 80er Jahre nicht nur belasten, sondern zunehmend auch in Frage stellen.

Entsprechende Veränderungen entfalten sich in einem Wechselwirkungsverhältnis aus globalen, nationalen, regionalen, lokalen, gruppenspezifischen und subjektiven Bestimmungsfaktoren je unterschiedlicher Intensität. Sie beeinflussen sowohl die staatlichen Politikmuster als auch die dabei entstehenden Steuerungsinstrumente bzw. politischen Problemlösungsverfahren und Problemlösungsnetzwerke.

Globale Verursachungszusammenhänge umschreiben dabei ein zunehmend wirksam werdendes Netz aus internationalen Beziehungen, Konkurrenzen und Mobilitäten. Als nationale, regionale, lokale, gruppenspezifische und subjektive Beeinflussungsfaktoren rücken ein Wandel der Werte, Lebensstile, Beteiligungswünsche, Bildungsverhältnisse, Familien- und Beziehungsstrukturen und nicht zuletzt der Produktions- und Arbeitsverhältnisse ins Blickfeld von Politik und Verwaltung. Globalisierungs- und Individualisierungsprozesse zehren dabei miteinander vernetzt an politisch errungenen Beteiligungsmodellen, Sicherungssystemen, Steuerungs- und Integrationskonzepten.

Vor diesem generellen Hintergrund ist meine Beobachtung die, dass die Entwicklung politischer Steuerungskonzepte zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit dem Wandel der Gesellschaft in globaler und lokaler Hinsicht nicht zügig und prinzipiell genug folgt. Vier Aspekte der Dynamik des sozialen Wandels erscheinen mir für die sich anschließenden Überlegungen relevant:

 

Selektive Wanderung und die kleinräumige Segregation sozialer Gruppen

Mit dem Strukturwandel moderner Gesellschaften im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wurden die sozialen Gruppen in unterschiedlicher Form mobil: Die sozialen Gruppen, die sich den wandelnden Anforderungen der Gesellschaft - noch - gewachsen zeigen, ziehen sich - aus städtebaulichen, infrastrukturellen oder soziokulturellen Gründen - verstärkt in von ihnen bevorzugte Quartiere zurück und verabschieden sich dabei häufig auch aus ihrer (Mit-)Verantwortung gegenüber ihrer Nachbarschaft und/oder der Stadt-Gesellschaft. Auf der Strecke bleiben immer umfangreicher einzelne Menschen, Familien oder Gruppen, die durch Versorgungsdefizite in einem geringer werdenden Maß aus eigener Kraft oder mit Hilfe öffentlicher Mittel mit dem Globalisierungs-, Technisierungs- und Individualisierungsprozess der Gesellschaft Schritt halten können (vgl. Kronauer 1997 und 1998; Häußermann / Kapphan 1998; Marcuse 1998). Entsprechende Prekarisierungsprozesse erstrecken sich inzwischen weit in die Mittelschicht bzw. Lebensstilgruppen unserer Gesellschaft: Die Gruppen, deren Wahl, Beteiligungs- und Gestaltungsmöglichkeiten geringer oder brüchiger werden, sammeln sich in diesem gesellschaftlichen Reorganisationsprozess zunehmend in schlecht aus-gestatteten und stadtpolitisch vernachlässigten Räumen oder müssen - aus soziokulturellen oder ökonomischen Gründen - ihre bisherigen Lebensräume aufgeben. Beide Entwicklungslinien finden sich aufs engste miteinander verknüpft und entfalten im Rahmen sozialräumlicher Segregation (gut versorgte, prekarisierte und vernachlässigte Stadtquartiere) seit geraumer Zeit ein neues Bild moderner Gesellschaften (vgl. Bourdieu 1985 und 1987; Giddens 1995) bzw. lassen längst überwunden geglaubte Stadtstrukturen erneut aufscheinen (vgl. Engels 1974/ 184 5).

 

Betroffenheit, soziale Gerechtigkeit und Beteiligung

Mit dem Ausdifferenzierungsprozess moderner Gesellschaften hat sich nicht nur das Bild von Betroffenheit, sondern auch die Auffassung von sozialer Gerechtigkeit gewandelt (vgl. Rammstedt 1981; Marshall 1992; Schmals 1998). Die meisten Bürger westlicher Gesellschaften gehen heute selbstbewusst davon aus, dass ihnen die historisch erstrittenen sozialpolitischen Rechte nicht nur zustehen, sondern auch einklagbar sind. Daraus resultierte ein gestärktes bürgerschaftliches Selbstbewusstsein nicht nur bei den gut versorgten Gruppen der Bürgerschaft. Dieses gestärkte Selbstbewusstsein ist auch bei Teilzeitbeschäftigten, working poor, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, Wohnungssuchenden, Alleinerziehenden, behinderten oder bei kranken Menschen dahingehend gewachsen, dass sie - in der Wahrnehmung ihrer eigenen Probleme und in ihrer Wahrnehmung gesellschaftlicher Probleme - ernst genommen werden wollen. Insbesondere gilt dies im Hinblick ihrer Beteiligung bei der Lösung von Versorgungs- und Gestaltungsdefiziten auf der quartierlichen Ebene.

 

Paradigmawechsel in der Planungskultur

Vor der sich verändernden Sozialstruktur moderner Gesellschaften (vgl. eine verlängerte und veränderte Jugendphase, den Wandel traditioneller Familienformen, den systematischen Eintritt von Frauen ins Erwerbsleben, den Wandel von Arbeit, Produktion und Beruf(sethos), die Ergrauung der Gesellschaft oder den verstärkten Zuzug von Bürgern mit nichtdeutschem Pass) und einer sich zersplitternden Betroffenheitskultur (Wertewandel) veränderte sich - wenigstens ihrem Anspruch nach - auch die Qualität der Planung. Sie wandelt sich in kleinen Schritten von einer sektoralen - nach bürokratischen Kriterien organisierten - Fachpolitik zu einem klientelorientierten Problemlösungsverfahren. Diesbezüglich sprechen wir in Anlehnung an Überlegungen des Sozialphilosophen Karl R. Popper auch von „perspektivischem Inkrementalismus" (vgl. Sieverts/Ganser 1994). Politiker und Verwaltungsfachleute versuchen dem Wandel der Sozialstruktur entsprechend und im Kontext dieser neuen Planungskultur zunehmend mit kleinteiligen, mikroräumlichen, problemorientierten, partizipatorischen und Fachpolitik übergreifenden Konzepten - eingebunden z.B. in Programme der EU, des Bundes, der Länder und der Städte - auf die unzureichende Leistungsfähigkeit großflächiger, bürokratischer, klientel- und problemunspezifischer Steuerungsinstrumente zu reagieren. Aufgrund unzureichender Adäquanz, Zuspitzung und Abstimmung ist deren Zielerreichung heute immer weniger gegeben. In Nachbarländern wie in England, in den Niederlanden oder in Frankreich konnten wir diesen Wandel der Planungskulturen an den Stadtteil-Konzepten des:

  • stedelijk beheeer
  • contract de ville oder
  • city challenge

relativ frühzeitig beobachten, sodass wir heute in der Bundesrepublik Deutschland von den dort gemachten Erfahrungen lernen können (vgl. Schmals / Kemper 2000, S. 24 - 76).

 

Systemische und lebensweltliche Interessen

Vor dem Wandel von Gesellschaft, Politik und Verwaltung wurden soziale Ungleichheit bekämpfende Steuerungsverfahren auch in Deutschland näher an die Probleme, Potenziale und Bedürfnisse prekarisierter Gruppen herangerückt. Um dies zu ermöglichen, mussten auch Struktur, Verfahren und Instrumente der Politik unmittelbarer mit den Entscheidungsebenen übergeordneter Institutionen vernetzt werden. Von einer konsequenteren Klientel-, Problem-, Lebensraum- und Maßnahmenorientierung der Programme und Instrumente des Bundes, der Länder und der Kommunen erhofften sich viele dafür Verantwortliche, öffentliche Mittel effektiver einsetzen und aufgetretene Versorgungsmängel zielgenauer bearbeiten zu können. Oftmals - und unausgesprochen - steht dabei die Idee im Hintergrund, wonach „systemische Interessen” (private Wertschöpfungsprozesse etwa durch „investive Maßnahmen”) und „lebensweltliche Interessen” (soziale Sicherung etwa durch „konsumtive Maßnahmen”) ohne größere Schwierigkeiten problemlösend in Einklang zu bringen sind. Wie nicht anders zu erwarten, traten mit dem Wandel der Steuerungsverfahren und der dabei zunehmenden Konkurrenz zweier Steuerungskulturen alsbald ihre zentralen Bestimmungs-faktoren ins Zentrum von Fachdiskussionen. Gemeint sind dabei u.a. Kontroversen um ein programmadäquates Verhältnis von Top-down- und Bottom-up-Politikformen, einem sozialintegrativen Wirken von „privaten und öffentlichen Planungsakteuren”, einem effektiven Einsatz von „autonomen Verfügungsfonds” und „programmgesteuerten Mittelverwendungen” oder die ausgewogene Beachtung von „subjektiven / individuellen und objektiven/ allgemeinen Interessen” im städtischen Teil-Raum.

Im Rahmen bewohnerorientierter Quartierserneuerungen trat insbesondere die Frage nach einem - bezüglich sozialintegrativer Maßnahmen - adäquaten Mix aus „harten und weichen” Steuerungsmaßnahmen in den Vordergrund. Dabei umreißen „investiven Maßnahmen” der Objektförderung im Rahmen des Städtebaus - im baulichen, verkehrlichen oder freiräumlichen Bereich - ein weites Feld „harter Steuerungsinstrumente”. Sie scheinen seit einigen Jahren die Grenzen der Problemlösung erreicht zu haben (vgl. Becker / Lohr 2000; Toepel / Sander / Strauss 2000; ARGEBAU 2000). Mit „weichen Steuerungsinstrumenten” der Subjektförderung versuchen seit geraumer Zeit Politik und Verwaltung negativ Betroffene im Rahmen „konsumtiver Maßnahmen” dort abzuholen bzw. zu beteiligen, wo sie lebensweltlich und bewusstseinsmäßig anzutreffen sind. Im Rahmen dieser relativ neuen Steuerungskultur bemühen sich die beteiligten Planungsakteure zunehmend darum, die individuellen Muster der Interpretation sozialer Wirklichkeit seitens der Betroffenen zu akzeptieren (vgl. hier in theoretischer Hinsicht Überlegungen von Joas (1989) und in praktischer Anwendung Konzepte von Stuber (2000)).

Die Einrichtung von „runden Tischen", „Stadtteilbüros", „Selbsthilfeprojekten" oder von „autonomen Verfügungsfonds" zuerst in den Niederlanden und nun auch in Hamburg oder in nordrhein-westfälischen Städten, stellen steuerungspolitische Schritte in diese Richtung dar bzw. versuchen die Stärkung endogener Potenziale bei den negativ betroffenen Bürgern vor Ort (vgl. Keim/Neef 1999 und 2000). D.h., durch die Entwicklung entsprechender Problemlösungsverfahren wird versucht, quartiersorientiert ein klientelspezifisches Steuerungsinstrumentarium aus harten und weichen, Top-down- und Bottom-up-, investiven und konsumtiven Maßnahmen entstehen zu lassen. Damit versucht man, die begrenzte Reichweite bisheriger Steuerungsinstrumente, die umfangreich mit dem Einsatz baulicher und infrastruktureller Maßnahmen verbunden sind, zu überwinden.

Sensibilisiert durch gesellschaftliche, planungspolitische und bürgerschaftliche Veränderungen lässt sich die Beobachtung machen, dass es für Politik und Verwaltung sehr schwierig geworden ist, den Veränderungsprozess der Gesellschaft steuerungspolitisch neu zu fassen. Gründe hierfür liegen in binnenstrukturellen Widersprüchen bei der problemlösenden Bearbeitung „systemischer und lebensweltlicher Interessen" der Quartiersentwicklung, im Interesse der Wahrung traditioneller Normen und Werte (u.a. in der Form von Top-down-Politiken oder der Anwendung von bürokratischen Steuerungskonzepten) und in der Verfolgung von institutionellen Eigeninteressen („machtvergessen" und „machtversessen" nannte Richard v. Weizsäcker diesen Zustand (Hofmann 1992, S. 164). Weitere Gründe für aktuelle Modernisierungsblockaden liegen im Unverständnis des gestärkten demokratischen Selbstbewusstseins der Bürger und neuer sozialer Ungleichheiten in verstädterten Gesellschaften durch Politik und Verwaltung.

2. Konjunkturen, Implementation und die Evaluierung politischer Steuerungsprogramme

Fachleute wundern sich gegenwärtig darüber, wie kurzfristig und reibungslos sich eine immer rascher vollziehende Programmfolge zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit über Fachkongresse, Fachzeitschriften oder Internet vollziehen und kommunizieren lässt (vgl. hier insbesondere die Berichte aus den einzelnen Kommunen bzw. Stadtteilen auf der „Starterkonferenz. ‚Soziale Stadt'” im Frühjahr 2000 in Berlin). Um hier nur ein Beispiel zu benennen: Das Vokabular und die Argumentationsstruktur der politischen Steuerungskultur „Die Soziale Stadt” hat sich in allerkürzester Zeit von München bis Bremen und von Völklingen bis Dresden - wenngleich ungeprüft, so doch mit großer Akzeptanz - durchgesetzt.

Programmbestimmende Begriffe, Konzepte, Strategien oder Instrumente aktueller Länderprogramme wie

  • vertikale und horizontale Programm- und Instrumentenvernetzung;
  • maßnahmeorientierte Bündelung der Förderprogramme;
  • Verknüpfung problemspezifischer Sachpolitiken mit Mehrzielprojekten;
  • ämter- bzw. fachressortübergreifende Steuerungsprogramme;
  • Berücksichtigung lokaler Potenziale im übergeordneten Programmkontext;
  • Vernetzung von Haushalten, Bewohnergruppen oder Betrieben durch Stadtteilbüros, Stadtteilarbeitskreise, runde Tische oder Quartiersforen zur Stärkung endogener Potenziale;
  • präventive Gestaltungskonzepte;
  • permanente Raumbeobachtung/Monitoring-Verfahren oder
  • Potenzialanalysen im Quartier

wurden - wenngleich in jahrelanger Arbeit im europäischen Ausland und in einigen deutschen Bundesländern vorbereitet - in kürzester Zeit Allgemeingut in Interministeriellen Arbeitsgruppen, in ost- und westdeutschen Amtsstuben, auf Kongressen, in Forschungsprojekten, Fachzeitschriften (Soziale Stadt 2000) oder im Internet (http:/www.sozialestadt.de). Dies, obwohl die einzelnen Begriffe, Konzepte oder Instrumente nur ansatzweise definiert sind, ihre Implementation unzureichend ist, ihr Zusammenwirken weitgehend ungeprüft geblieben ist und ihre ressort- und klientelspezifischen Wirkungsqualitäten ungeklärt sind.

Vor der Tatsache, dass in einzelnen Bundesländern entsprechende Programme bereits seit mehr als sechs Jahren angewendet werden, verwundert es, dass bis Mitte des Jahres 2000 keine Evaluierungsergebnisse vorgelegt wurden. Wo eine Evaluierung stattfand, wurde sie - wie in Nordrhein-Westfalen - in enger ministerieller Kontrolle von einem landeseigenen Institut (dem ILS) vorgenommen. Insbesondere auch in dieser Hinsicht könnten die Programmverantwortlichen in den deutschen Bundesländern von ausländischen Erfahrungen - etwa in den Niederlanden oder in England - profitieren. In diesen Ländern wird nicht nur in größerer Staatsferne, in kürzeren zeitlichen Intervallen und nach genauen Kriterien (Indikatoren, Richtwerte, Kosten-Nutzen-Analysen oder Ziel- und Zielerreichungsprogrammen) evaluiert, sondern die einzelnen Steuerungsprogramme werden auch auf der Basis nachprüfbarer Evaluierungsergebnisse - nach öffentlichen Diskussionen - fortgeschrieben.

3. Anspruch und Wirklichkeit politischer Steuerungsprogramme

In der Expertise „Steuerungsinstrumente der sozialintegrativen Stadtentwicklung” (vgl. Schmals/Kemper 2000) wurden ausgewählte Programme aus Nachbarländern (Niederlande, Frankreich und England) und aus Ländern der Bundesrepublik Deutschland (Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Hessen) vorgestellt. Auf den ersten Blick entsteht dabei der Eindruck, die politischen Steuerungsinstrumente zum Abbau sozialer Ungleichheit seien in großer politischer Verantwortung sozialintegrativ komponiert. Bei der Analyse ihrer Wirkungen - an der Fakultät Raumplanung der Universität Dortmund und am Institut für Soziologie an der Freien Universität in Berlin wurden im zurückliegenden Jahr mehrere Diplomarbeitsthemen zu „Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf” oder zum „Quartiersmanagement” vergeben - bekommt man da so seine Zweifel. In den Quartieren Gelsenkirchen-Bismarck/Schalke-Nord (vgl. Kemper 2000), Potsdam-Am Schlaatz (vgl. Kirschbaum 2000) oder Berlin-Oberschöneweide (vgl. Koineke 1999) konnten - einmal mehr, einmal weniger - die Bausubstanz und/ oder die Infrastruktur verbessert werden. Der weitere Abstieg der Quartiersbevölkerung konnte aber in der Regel nur verlangsamt oder gestoppt, nicht aber in einen sozialintegrativen Aufstieg umgemünzt werden. Diese eher negative Bilanz ist trotz eines hohen staatlichen Mitteleinsatzes - insbesondere im investiven Bereich - und trotz des Einsatzes des gesamten sozialintegrativen Instrumentensatzes der Programme „Quartiersmanagement” (für Berlin) oder „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf” (für Nordrhein-Westfalen) zu ziehen. Dabei reichte der Instrumenteneinsatz von der „Interministeriellen Arbeitskonferenz”, über Fördervorrang, Fördermix, Bündelung von Fachpolitiken, Mehrzielprojekte und Stadtteilläden bis hin zu Arbeitsförderungs- und Qualifizierungsprogrammen.

Lässt sich diese eher negative Leistungsbilanz nun durch die Nichtberücksichtigung des Wandels der Gesellschaft durch Politik und Verwaltung begründen? Basiert diese Entwicklung eher auf der relativen Untauglichkeit der eingesetzten (traditionellen) Steuerungsinstrumente? Resultiert diese Situation vielleicht daher, dass oftmals „klienteloffene Instrumente” entwickelt werden, diese dann aber - in falscher Einschätzung der Instrumente - von „oben nach unten”, fach-, kontroll- und ordnungspolitisch vollzogen werden (müssen)? Oder liegt der geringe Zielerreichungsgrad dieses engagierten Instrumentennetzwerks in einer strukturell angelegten Zweiebenenpolitik (einer „simultanen Politik”): auf der einen Seite wird ein sozialverantwortliches Programm vorgetragen und auf der anderen Seite erfolgt keine konsequente Implementation der Programmstruktur bzw. wird im traditionellen Stil weitergeplant. Mit anderen Worten: in der Fachöffentlichkeit und vor dem betroffenen Klientel wird ein problemsensibles Instrumentarium signalisiert. In Politik und Verwaltung wird - in traditioneller Gewohnheit - sowohl mit sektorspezifischen Steuerungsinstrumenten wie z.B. der Sozialhilfe und mit AB-Maßnahmen als auch mit nichtkoordinierten Programmen hier z.B. der Städtebauförderungspolitik und dort z.B. der Arbeitsmarkt-, Verkehrs- oder Energie-und Umweltpolitik operiert.

Am Beispiel „investiver Maßnahmen”, die nach wie vor die Quartiers- bzw. Stadterneuerung dominieren, versuche ich, die Politik dieser miteinander kommunizierenden Ebenen noch etwas transparenter zu machen (vgl. Schmals 1995): Bei „investiven Maßnahmen” der Objektförderung geht es in der Regel um Maßnahmen, die die bauliche und infrastrukturelle Entwicklung eines Raumes, eines Gebäudes resp. deren Ausstattung zum Inhalt haben. Häufig ist dabei zu beobachten, dass entsprechende Maßnahmen nur in der Ausnahme von den ansässigen Problemgruppen durchgeführt werden. Weiterhin erfährt man in der Regel, dass entsprechende Maßnahmen aus politischen, bürokratischen oder fachlichen Gesichtspunkten von oben nach unten, nach sach-, ordnungs- und kontrollpolitischen Rationalitäten entwickelt und umgesetzt werden. Nicht zuletzt wird beim Einsatz „investiver Maßnahmen” häufig von nicht zutreffenden Annahmen ausgegangen. So finden sich städtebauliche Maßnahmen oftmals mit der Erwartung verknüpft, dass der modernisierte oder infrastrukturell erneuerte Stadt-Raum soziales Handeln, soziale Integration und damit die sozialräumliche Versorgung benachteiligter Bürger - ähnlich einem Filtering-down-Prozess - schon in die richtige - problemlösende - Richtung lenken wird. Dass diese Prozesse nicht in der steuerungspolitisch gewünschten Richtung verlaufen, hat R. Keim (1999) an den Wohnungsteilmärkten in Kassel abermals dargelegt. Ähnlich verhält es sich in Quartierserneuerungsverfahren mit der politisch-administrativen Handhabung traditioneller Instrumente der Förderung und Sicherstellung von Arbeit/Arbeitsplätzen und Qualifizierung/Ausbildungsplätzen durch AB-Maßnahmen oder Ausbildungsfördermaßnahmen. Aufgrund eines Wandels der Betriebsstrukturen, der betrieblichen Mitbestimmung und gesellschaftlichen Beteiligungsvorstellungen, der gesellschaftlichen Vorstellungen von Arbeit, Produktion und Wissen haben diese Instrumente ihre Wirkung weitgehend eingebüßt resp. hat das politisch-administrative System seine Gestaltungs- und Durchsetzungskraft verloren. Oftmals führt ihr Einsatz in traditioneller Form sogar zur Verschärfung sozialer Ungleichheit: So werden Auszubildende häufig vom staatlich subventionierten Betrieb nicht übernommen oder der „Empfänger” einer AB-Maßnahme wird nach drei Jahren von dem staatlich subventionierten Betrieb nicht in ein festes Arbeitsverhältnis überführt.

Vor diesen Erfahrungen sollte sich - wie planungskulturell angedeutet - auch steuerungspolitisch die Überzeugung durchsetzen, dass das aktuell und potenziell betroffene Klientel - im Kontext seiner Realitätseinschätzung - an problemlösenden Maßnahmen beteiligt und nachfrageorientiert in Aushandlungsprozessen verankert wird. Entsprechend entwickelte Konzepte, Verfahren und Netzwerke sollten dann aber auch implementiert werden.

Würde diese Politikform verstärkt verfolgt, wäre in der Stadtentwicklungspolitik ein Paradigmenwechsel und damit ein neues Verhältnis/Verständnis harter und weicher, investiver und konsumtiver, Top-down- und Bottom-up-Maßnahmen zu entwickeln. Gemeint ist damit ein Wandel der Politik von einer eher obrigkeitsstaatlichen und bürokratischen zu einer auch aushandlungs- und klientelorientierten Steuerungskultur, dessen Notwendigkeit nicht zuletzt durch den Individualisierungsprozess unserer Gesellschaft begründbar ist.

Schauen wir uns in westeuropäischen Gesellschaften um, so sind gerade in dieser Richtung steuerungspolitische Veränderungen feststellbar:

  • In England entstehen mit dem New Deal for the Communities „neue lokale Partnerschaften” zwischen privaten, gemeinnützigen und öffentlichen Einrichtungen oder Planungsakteuren sowie „neue Wettbewerbskulturen” um Förderprogramme in neu zugeschnittenen Bewerberfeldern (vgl. Schmals/ Kemper 2000, S. 51 ff.);
  • In Frankreich richtete sich mit der „Sozialen Quartiersentwicklung" eine „Kultur der Stadtverträge und Sozialfonds” in zivilgesellschaftlicher Richtung sowie die Idee „städtischer Redynamisierungszonen” unter Einbeziehung steuerpolitischer Maßnahmen ein (vgl. dies, a.a.O, S. 66 ff.); nicht zuletzt
  • experimentieren die Niederländer im Rahmen des grote stedenbeleid mit „autonomen Verfügungsfonds”, mit präventiven und nachsorgenden Maßnahmen der Integration, mit „Monitoringverfahren” und mit „geographischen Informationssystemen”. Ziel ist dabei, so unmittelbar wie möglich an die Bewohner heranzukommen, um deren Interessen und Potenziale problemlösend zu entwickeln und in öffentlichen Steuerungsprogrammen zu verankern (dies. a.a.O., S. 29 ff.).

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Beobachtung machen, dass Anspruch und Wirklichkeit politischer Steuerungsinstrumente der sozialintegrativen Stadtentwicklung in den einzelnen Länderprogrammen und in der Gemeinschaftsinitiative „Die Soziale Stadt” weit auseinander klaffen. Durch die aktuelle politische Ausprägung und Handhabung entsprechender politischer Steuerungsprogramme könnte sich soziale Ungleichheit in den nächsten Jahren auf der städtischen Ebene weiter verschärfen. Einen prinzipiellen Wandel der Politik außer Acht lassend (neue Steuerungspolitiken werden nicht ausreichend implementiert) können aktuell angestellte fachpolitische Überlegungen, die normativ an die „Logik eines Steuerungspositivismus” zurückgebunden sind (Erhöhung der sozialtechnokratischen Steuerungs- und Kontrolldichte), nur noch sehr begrenzte Problemlösungsfortschritte erbringen.

4. Soziale Rechte und soziale Verantwortung oder simultane Politik?

Wie angedeutet, beschleunigt sich die Abfolge politischer Programme, die die sozialintegrative Entwicklung unserer Städte zum Inhalt haben, seit mehreren Jahren. Gemeint ist hier u.a. die Programmfamilie aus Städtebauförderungsprogramm, ExWoSt, Urban, „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf”, „Die Soziale Stadt” oder „Stadt 2030”. Wenngleich sich soziale Ungleichheit in deutschen Städten weiter vertieft, findet sich dieser Polarisierungs- und Spaltungsprozess in der Fortschreibung politischer Programme nur in der Ausnahme durch Evaluierungen dokumentiert. So wissen die politisch Verantwortlichen eigentlich nicht so recht, über was sie da befinden. In entsprechenden Problemanalysen und Evaluierungen wäre wenigstens ansatzweise transparent zu machen, wie, inwieweit und ob in politische Programme eingebundene Instrumente und Instrumentennetzwerke in zeitlicher, sozialer oder räumlicher Hinsicht wirken. Basiert die Entwicklung von Programmen und die Kontrolle ihrer Implementation nicht auf systematischen und staatsfern organisierten Evaluierungen, könnte man sich fragen, ob dieser Zusammenhang nicht auch einem gewünschten „Formwandel der Politik” geschuldet sein könnte.

Durch die kommunale Armutsberichterstattung wissen wir, dass soziale Ungleichheit - in immer unübersichtlicherer Form - insbesondere im städtischen Raum zunimmt (vgl. u.a. die Armutsberichte der Städte München, Frankfurt/Main, Essen, Hamburg oder Berlin). Bekannt ist weiterhin, dass die kommunal zusammengetragenen Informationen über sozialstrukturelle Auflösungserscheinungen nicht immer den tatsächlich eingetretenen Spannungen, Konflikten und Problemen, die seit geraumer Zeit durch Globalisierungs-, Technisierungs- und Individualisierungsprozesse entstehen, entsprechen. Weiterhin ist zu bedauern, dass eine Zusammenfassung der lokalen Armutsberichterstattung zu regionalen oder nationalen Armutsberichten nicht gegeben ist. Und nicht zuletzt erfolgte bisher keine systematische Vernetzung der Länderprogramme und des Bund-Länder-Programms „Die Soziale Stadt” mit der kommunalen Armutsberichterstattung.

Diese wenigen Aspekte verweisen darauf, dass ein Großteil der gegenwärtig gehandhabten sozialintegrativen Steuerungsprogramme in inhaltlicher Hinsicht nicht systematisch fundiert ist. Vor diesem Hintergrund könnte man sich nun fragen, warum und vor welchen Interessen die Programme erneuert werden? Dazu drei Beobachtungen, die die Diskussion über die möglichen Ziele sozialintegrativer Steuerungspolitik erleichtern könnte:

  • So wurde bereits darauf verwiesen, dass sich Betroffenheit - aufgrund ihrer individuellen Interpretation - im gesellschaftlichen Modernisierungsprozess nicht ohne weiteres zu gesellschaftlichem Protest konzentriert. Betroffenheit vor Ort durch Arbeitslosigkeit, Teilzeit- und Gelegenheitsarbeit, working poor, fehlende Ausbildung/Ausbildungsplätze, Wohnungsnot, Stadtumbau, Infrastrukturerneuerung, erzwungene Mobilität, Beziehungskrisen, Scheidung, Tod eines Lebenspartners, Vereinsamung oder mangelnde Beteiligung an gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen manifestiert sich jeweils unterschiedlich. Sie tritt auf als Aggression, politischer Protest, politische Arbeit, Rückzug ins Private, Selbstorganisation, Resignation, Krankheit, Kriminalität oder Drogenkonsum.
  • Dies führt häufig dazu, dass aufgrund der „Zerstäubung von Betroffenheit” bzw. der zersplitterten Artikulation sozialer Rechte durch die Betroffenen für Politik und Verwaltung kein unmittelbarer Handlungszwang entsteht bzw. Politik und Verwaltung immer wieder dazu tendieren (können), auf den Einsatz traditioneller Steuerungskulturen zurückzugreifen.
  • Türmen sich in städtischen Quartieren dennoch Formen negativer Betroffenheit zu Protest oder Unruhe auf, so entsteht notgedrungen eine Nachfrage nach adäquaten Lösungskonzepten. Solche Ansätze entstehen in der Regel aus sozialstaatlichen Pflichtaufgaben, einer Sorge um den innerstädtischen Frieden und/oder aufgrund der Artikulation sozialer Rechte durch die Betroffenen. In der bereits benannten Expertise verdeutlichten wir auf der nationalen und internationalen Ebene die bisher erreichte sozialraum- und problembezogene Vielfalt an Quartierskonzepten. Wir verdeutlichten diese Entwicklung in den Niederlanden am Beispiel von Eindhoven, in England an den Beispielen Lisson Green (Westminster) und Moss Side & Hulme (Manchester), in Frankreich am Beispiel Vaulx-en-Velin (Lyon), oder in Deutschland an den Beispielen Bismarck/ Schalke-Nord (Gelsenkirchen), Altona (Hamburg), Nordstadt (Kassel), Silberhöhe (Halle) und Grünau (Leipzig).

Nach meinen Erfahrungen besteht im Rahmen dieser Trias aus Betroffenheit/sozialen Rechten, sozialer Verantwortung und traditioneller Steuerungskultur nach wie vor ein struktureller Vorrang in Richtung traditioneller bzw. bürokratischer oder ordnungs-und kontrollpolitischer Steuerungskultur. D.h. sozialintegrative Konzepte werden in Stadtteilentwicklungsprogrammen nur so intensiv vorangetrieben und implementiert, wie dies die politisch-ökonomischen Interessen auf der kommunalen Ebene zulassen. Im strukturellen Vorrang systemischer gegenüber konsumtiven Interessen ist somit eine der wesentlichen Ursachen für die eher geringe Problemlösungskapazität aktueller, sozialintegrativer Programme zu suchen. Ein Aspekt, der in Programmevaluierungen weitgehend ausgespart bleibt.

Trotz zunehmender Disparitäten müssen Politik und Verwaltung aber handlungsfähig bleiben, um einerseits gegenüber der Öffentlichkeit nicht verantwortungslos zu erscheinen und andererseits durch ein zu starres Festhalten an traditionellen Steuerungsinstrumenten nicht in die Gefahr zu geraten, dass ihnen eben diese Instrumente und damit die Loyalität der Gesellschaftsmitglieder wegbrechen und ihre Machtbasis verloren geht. Vor dem oben dargelegten widersprüchlichen Hintergrund stellt sich somit die Frage, in welcher Form und mit welchen Instrumenten können eine relativ bewegungslos gewordene Politik und Verwaltung ihren bisherigen Einfluss sichern und dennoch soziale Verantwortung signalisieren?

Ist der gesellschaftliche Problemdruck zu schwach, um einen Wandel von Steuerungssystematik und Steuerungsinstrumenten in Politik und Verwaltung zu erreichen, könnten Politik und Verwaltung auf die Steuerungsvariante „simultaner Politik” zurückgreifen. Mit einer „symbolischen und ausführenden (kontrollierenden und disziplinierenden) Ebene” stünden ihr - wie bereits angedeutet - zumindest diese zwei „Gesichter der Problembearbeitung” zur Verfügung:

  • Auf der „symbolischen” Ebene sorgen die Länderprogramme oder das Bund-Länder-Programm „Die Soziale Stadt” für ein problemangemessenes, gegenüber den bekannten Problemen sensibles und verantwortungsbewusstes Konzept (vgl. ARGEBAU 2000; Deutsches Institut für Urbanistik 2000). Das Programm selbst ist aber auf dieser Ebene nicht mit den notwendigen fiskalischen Mitteln ausgestattet, um die anzutreffenden Probleme zu lösen (vorerst wurde das Bund-Länder-Programm „Die Soziale Stadt” mit einem Fördervolumen von 300 Mio. DM versehen). Weiterhin ist die Struktur des Programms (Netzwerk, Verfahren und Instrumente) nur ansatzweise im föderalen System von Bund, Ländern und Kommunen implementiert.
  • Demgegenüber werden die zentralen Probleme verstädterter Gesellschaften -wie Massenarbeitslosigkeit, Ausbildungs- und Weiterbildungsdefizite, Wohnraummangel für einkommensschwache Gruppen, gesundheitliche Vorsorge oder Pflege älterer und kranker Menschen - nach wie vor im Rahmen klassischer Steuerungsinstrumente der Beschäftigungspolitik, der Ausbildungsförderung oder der Wohnungspolitik bearbeitet.

Sollten meine Beobachtungen zutreffen, deutet sich in dem Handlungsfeld sozial integrativer Stadtentwicklung möglicherweise ein Wandel der Politik dahingehend an, dass in der Öffentlichkeit zwar sozialintegrative Programme vorgestellt werden, ihre Inhalte - aufgrund von Mängeln ihrer institutionellen Verankerung und Mittelausstattung - in vertikaler Hinsicht (EU-Bund-Länder-Kommune) und auf horizontaler Ebene (zwischen den Fachressorts) nicht durchgesetzt werden (können). Das politische Kalkül könnte darin liegen, dass die Verantwortlichen im Rahmen dieser zweigeteilten Politik ihre soziale Verantwortung „engagiert” vortragen können, eine Gefährdung des städtischen Friedens durch politischen Protest der Betroffenen nicht befürchten müssen, öffentliche Mittel eingespart werden und die traditionellen, machtstabilisierenden Steuerungsinstrumente weiter verwendet werden können.

Sollte an den Beispielen des Bund-Länder-Programms „Die Soziale Stadt” oder an den einzelnen Länderprogrammen die Form einer „simultanen Politik” belegbar sein, könnte es durchaus Aufgabe der Wissenschaft sein, zu überprüfen, inwieweit mit dieser Politikvariante die Modernisierung unserer Gesellschaft (vor Globalisierung, Technisierung und Individualisierung) gelingen kann, inwieweit so die sozialintegrative Versorgung der Gesellschaftsmitglieder (soziale Rechte und soziale Verantwortung) leistbar ist und inwieweit in dieser Form Sorge dafür getragen werden kann, dass die Akzeptanz demokratischer Entscheidungsstrukturen in der Gesellschaft nicht in Frage gestellt bzw. unterminiert wird (Rückzug ins Private, Desinteresse an demokratischen Strukturen und Aushandlungsprozessen sowie Rechtsradikalismus).

5. Ausblick: sozialverantwortliche Steuerungspolitik in sich wandelnden Gesellschaften

Kommt die Verlagerung von Steuerungsinstrumenten in das Quartier und ihre qualitative Veränderung durch mehr Bürgernähe einem Steuerungsverzicht des Staates gleich? Nach Renate Mayntz stellt dies keinen Steuerungsverzicht, sondern einen „Formwandel der Politik” dar:

„Politische Steuerung und gesellschaftliche Selbstregulierung (...) sind keine Alternativen, sondern eine verbreitete Mischform von Governance, die unter bestimmten Bedingungen besonders wirkungsvoll sein kann” (zitiert nach Mensch, S. 21).

Welche „Mischformen” könnten nun aber besonders wirkungsvoll sein? Macht- und herrschaftssichernd könnte eine weiter zu effektivierende „simultane Politik” sicher wirkungsvoll sein. Sollte mit diesem Programm mehr als nur eine Sicherung des gesellschaftlichen Status quo beabsichtigt sein, sollten unsere Interessen in eine andere Richtung weisen: Wirkungsvoll könnten Konzepte wie das Bund-Länder-Programm „Die Soziale Stadt” dann sein, wenn für die je spezifischen Stadtquartiere - im Rahmen des städtischen Wandels - maßgeschneiderte Steuerungskonzepte in der Aushandlung zwischen Politik, Verwaltung und Bürgerschaft entwickelt, implementiert, evaluiert und -falls notwendig - auch fortgeschrieben würden.

Dabei gilt es zu bedenken, dass in der Bundesrepublik Deutschland eine eigentümliche Angst vor der Realität eines schwächer werdenden Staates resp. einer stärker werdenden Bürgerschaft besteht. Einerseits scheint mir diese Angst vor dem Dominantwerden einer „angebotsorientierten, neoliberalen Unternehmenspolitik” falsch verortet zu sein. Andererseits lassen sich unsere Beschäftigungs- und Qualifizierungs-, Mobilitäts-, Integrations- und Toleranzprobleme auf der lokalen Ebene nicht mehr durch den einseitigen Rückgriff auf traditionelle Steuerungskulturen (eines „starken Staates”) bewältigen. Ein deutlicher Einbezug der Bürger(schaft) scheint mir immer unausweichlicher zu sein (Schmals 1997 und 2000).

Reflektieren wir die aktuellen Versuche, eine staatsfernere und dezentraler organisierte Steuerungskultur zu entwickeln, so ist häufig nur die modifizierte Verlagerung traditioneller Politik, traditioneller Programme und traditioneller Steuerungsinstrumente von der zentral- und gliedstaatlichen Ebene auf die Stadt- und Quartierebene zu beobachten. Dies vor der Annahme, es bestünde zwischen Programmentwicklern und Betroffenen ein Konsens über die Probleme und Problemlösungsverfahren. Dass dies nicht so ist, zeigen in der Regel die unterschiedlichen Versorgungslagen, Sicherungssysteme, Interessen, Betroffenheiten und Planungsrationalitäten. Andererseits meinen viele der Programmverantwortlichen in falscher Einschätzung ihrer Machtpotenziale, sie könnten trotz Wandel der Gesellschaft und ihrer Problemprofile weiter in den gewohnten Formen kontrollieren, ordnen und disziplinieren.

Vor einem notwendigen Wandlungsprozess von Politik und Verwaltung besteht heute ein großes Forschungsdefizit einerseits dahingehend, wo die Potenziale, Chancen, Interessen und Bedürfnisse negativ Betroffener liegen und wie sie in zivilgesellschaftlicher Perspektive gestärkt werden können (wir sollten es uns nicht leisten wollen, dass mehrere Millionen Menschen in unserer Gesellschaft nicht anders als von Sozialtransferleistungen „leben” können). Andererseits besteht ein Informationsdefizit darüber, wie bürgerschaftliche Interessen mit Programmen aus Politik und Verwaltung zu vernetzen sind. Obwohl die politisch Verantwortlichen über solche Zusammenhänge nur wenig wissen, werden entsprechende Forschungsprojekte immer wieder in den Hintergrund gedrängt.

Versuchten wir die Vernetzung von Politik, Verwaltung und Bürgerschaft nun entlang einer aktuell in den Vordergrund tretenden „angebotsorientierten Politik” zu bestimmen, nähmen die Prekarisierung städtischer Lebensweisen und die Schwierigkeiten sozialräumlicher Integration mit großer Wahrscheinlichkeit zu, da sich in dieser „betriebswirtschaftlichen Steuerungskultur” ein nur geringes Interesse an „nachfrageorientierten Gestaltungs- und Integrationspolitiken” verankert findet. Da Verantwortung tragende Politiker und Verwaltungsfachleute in jüngster Zeit - weitgehend ungeprüft - auch „neoliberale Politikformen” antizipieren und implementieren, sind so entstehende Steuerungsinstrumente (vgl. e-commerce in den Städten) auch normativ überformt. Man sollte also nicht in den Fehler verfallen, die Förderung „endogener Entwicklungspotenziale” nur daran zu messen, ob und wie sie in den main stream der Gesellschaft integrierbar sind, sondern auch daran ausrichten, inwieweit sie einzelnen Menschen, Haushalten oder Betrieben im städtischen Quartier helfen, ihr (Arbeits-)Leben selbständig und human zu führen.

Spätestens an dieser Stelle berühren wir nochmals eine der zentralsten Charakterisierungen sich individualisierender Gesellschaften: Hiernach handeln Menschen in ihrem Alltag so, wie sie ihre Lebenssituation erfahren und definieren, ohne dass diese auch so sein müsste (W.I. Thomas). An dieser Stelle, in dieser sozialen Situation gilt es, die Menschen durch Quartierspolitik abzuholen. Damit wird Stadtpolitik als soziale Integrationspolitik (als mentoring for diversity) nicht notwendig chaotisch oder zur „Sisyphus-Arbeit” (Mensch 2001). In dieser lebensweltlichen Perspektive kann sich - nach meinen Beobachtungen - Quartierspolitik durchaus komplex, produktiv und sozialgerecht entfalten. Dies zu ermöglichen, müsste Politik und Verwaltung aber ein anderes, ein bürgerorientiertes Verständnis von Politik und Verwaltung entwickeln.

Der Autor: Prof. Dr. Klaus M. Schmals ist Hochschullehrer für Soziologie an der Universität Dortmund und der Freien Universität Berlin. Er studierte Ingenieurwissenschaft, Architektur und Soziologie in München, Stuttgart und Zürich. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf dem sozialen Wandel in altindustrialisierten und modernisierten Stadt-Räumen.

6. Literatur

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  • Becker, H. / Lohr, R.-P. (2000): „Soziale Stadt” - Ein Programm gegen die sozialräumliche Spaltung in den Städten. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 10-11/2000, 3. März 2000, S. 22-29.
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  • Bourdieu. P. (1987): Die feinen Unterschiede - Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt am Main.
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  • Deutsches Institut für Urbanistik (DIFU) (2000): Arbeitspapiere zum Bund-Länder Programm „Die Soziale Stadt” - Programmgrundlagen, Band Nr. 3, Berlin (Eigenverlag).
  • Engels, F. (61974 / 184 5): Die soziale Lage der arbeitenden Klasse, Berlin, S. 162-201.
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  • Häußermann, H. / Kapphan, A. (1998): Sozialorientierte Stadtentwicklung - Gutachten im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie, Berlin.
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  • Offe, C. (1973): Politische Herrschaft und Klassenstrukturen. Zur Analyse spätkapitalistischer Gesellschaftssysteme. In: Kress, G./Senghaas, D. (Hg.): Politikwissenschaft - Eine Einführung in ihre Probleme, Frankfurt am Main, S. 135-164.
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  • Schmals, K.M. (1995): Die Janusköpfigkeit des „perspektivischen Inkrementalismus". In: Schubert, D. (Hg.): Städte für Morgen, Kassel, S. 227-237.
  • Schmals, K.M. (1997): Zivile Urbanität. In: Schmals, K.M. / Heinelt, H. (Hg.): Zivile Gesellschaft, Opladen, S. 399-423.
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  • Schmals, K.M. (2000): Die zivile Stadt. In: Wentz, M. (Hg.): Die kompakte Stadt, Frankfurt am Main und New York, S. 30-46.
  • Schmals, K.M. / Kemper, S. (2000): Steuerungsinstrumente der sozialintegrativen Stadt entwicklung, Darmstadt.
  • Stuber, M. (2000): Diversity: Chancengleichheit, ökonomischer Erfolg und soziopolitische Raison - Gleich drei Wünsche auf einmal. In: NEU:news, herausgegeben von efp-Europabüro für Projektbegleitung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, 6. Ausgabe, September 2000, Bonn, S. 4.
  • Toepel, K. / Sander, R. / Strauss, W.-Ch. (2000): Europäische Strukturpolitik für die Stadterneuerung in Ostdeutschland - Evaluierung der Gemeinschaftsinitiative URBAN, Berlin u.a.

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