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Artikel vom 05.08.2016

Wenn bei der Beschreibung soziokultureller Phänomene von Strömen die Rede ist, handelt es sich um eine vitalistische Metapher, in deren Anschauungszentrum die dauerhaft-gleichförmige Bewegung von Etwas zum Ausdruck kommt. Wo nicht die Bewegung das Vergleichsmoment ist, hebt der Begriff meist auf die schiere Masse oder Intensität des zu veranschaulichenden Phänomens ab. Von Oliver Müller

Ursprung

Die Strom-Metapher schlägt eine lebendige Brücke zu unserer Vorstellungskraft, um einen abstrakten Prozess begreifbar zu machen. Sie verdankt ihre Popularität der eigentümlichen Dynamik des Strom-Bildes, das Anknüpfungspunkte für zahlreiche Bedeutungswelten bietet – als reißend-zerstörerische, gleichmütig-fließende, verbindende, trennende, einschließende oder ausschließende Kraft.

Gleichstrom

Das zeitgenössische Strom-Denken hat längst Eingang in die Wissenschaftssprache gefunden. Dies zeigt sich unter anderem im stark verbreiteten Gebrauch der Strom-Metaphorik in Analysen soziokulturellen Wandels. Ströme und deren Zirkulation sind in der Rhetorik globaler Meta-Erzählungen eine Art transdisziplinäre Währung. Mit ihr wird für die zunehmende Komplexität globaler Austauschbeziehungen und die sich verändernden Modalitäten der Transformation gleichsam „bezahlt“. Der Begriff hat eine steile semantische Weltkarriere zurückgelegt und meint, dass die Dinge nicht so recht an ihrem Platz bleiben wollen. So schließt er auch alle Formen von Mobilität und Expansion ein, bis hin zur Herausbildung einer globalen kulturellen Ökonomie. Gemein ist diesen Theorien zum einen die Vorliebe für ein „großes Ganzes“, das sich als räumliche Ordnung anhand konventioneller Methoden abbilden lässt und zum anderen die ausgeprägte Bevorzugung von Bewegung, Konvergenz und Verknüpfung gegenüber Stillstand, Divergenz und Trennung.

Exemplarisch sei die Analyse des Stadtsoziologen Manuel Castells genannt. Die Theorie des „Raums der Ströme“ ist Vision eines hierarchisch geordneten Netzwerkraums. Dessen Entstehung begründet Castells mit der informationstechnologischen Revolution. Orte werden über die sie durchfließenden Ströme – bei Castells in erster Linie Informationen – charakterisiert und erhalten (durch ihre relative Position zu diesen Strömen) ihre Bedeutung in der Hierarchie eines Netzwerks. Sie sind Austauscher, Knoten oder Zentren der in einem Netzwerk ausgeführten Funktionen: Innovationen, Dienstleistungen oder Kommunikation.

Dieser kurze Exkurs in die sozialtheoretische Konzeption (globaler) Ströme soll  zweierlei deutlich machen. Erstens: Das Strom-Denken mobilisiert die Vorstellung einer singulär vernetzten globalen Zukunft, in der weltumspannende Verbindungen in atemberaubender Intensität und Dichte unser Tagesgeschäft bestimmen. Zweitens: Es offenbart aber auch die Schwierigkeiten abstrakter Meta-Erzählungen, Ströme in ihren ephemeren und alltäglichen Erscheinungsformen auf einem lebensweltlichen Verstehenshorizont zu verorten.

Schleusen

So wie Manuel Castells die Stadt zum Kristallisationspunkt seiner Analysen gesellschaftlicher Umwälzungen macht, fokussieren die Arbeiten der Künstlerin Larissa Fassler den Raum der Stadt als Umschlagplatz gesellschaftlichen Austauschs. Aber sie unterscheidet sich von Castells, denn sie thematisiert Raum nicht als Produkt sozialer Strukturen; sie macht dessen Erleben zum Ausgangspunkt. Ausgehend von ihrer leiblich-sinnlichen Erfahrung, zeichnet sie ein dynamisiertes Bild des städtischen Raums. Die collagierte Überlagerung unterschiedlicher Nutzungen, ob politisch, transitorisch oder funktional, so zum Beispiel in ihrem Werk „Kotti“ (2008), verdeutlicht die temporäre Überlagerung von Strömen. Ihre kinetischen „Karten“ dienen nicht der besseren Orientierung, sie geben subjektive Psychogramme ihrer Erfahrung an einem Ort im gelebten Raum der Stadt wieder. Durch die wiederholende Aufzeichnung dessen, was sich an einem Platz ereignet, werden dessen Ereignis-Amplituden sichtbar. So setzt sie das „Rauschen“ und die Performativität städtischen Lebens durch sich überlappende Bewegungsbahnen eindrucksvoll ins Bild.

Die Videoarbeiten von Mirko Martin thematisieren glokale Transitströme in ihrer alltäglichsten Form. Das Video „Traffic“ (2005) zeigt sich wiederholende Szenen am Dock eines Hafens im Süden Spaniens. Die auf das Verladen der Container wartenden Truckfahrer laufen wild gestikulierend, mit einem Ohr am Handy, zwischen ihren LKWs umher und rufen so Erinnerungen an Zeiten des Parketthandels wach. Dieser Ort ist Umschlagplatz im doppelten Sinne. Als Medium globaler Warenströme ist der Ort in der Logik seiner Gestaltung auf die Kanalisierung von Containern, das Sinnbild des Welthandels, ausgerichtet. Die Aufnahmen verdeutlichen aber auch, dass der weltweite Fluss der Dinge mitunter ins Stocken gerät. Die Bewegung globaler Ströme zeigt sich an dieser Nahtstelle als Übersetzungsprozess zwischen unterschiedlichen Transportmodalitäten, der an eine Reihe von materiellen Voraussetzungen geknüpft ist. Globalisierung erscheint nun als vielfältig gebrochener Prozess, der der wiederholenden Erneuerung bedarf.

Mündung

Der Dialog zwischen Wissenschaft und Kunst erweist sich aus Perspektive von Stadtforschung und Globalisierungstheorie als überaus gewinnbringend. Der aus sozialwissenschaftlicher Sicht imaginierten Globalität konvergierender Ströme mangelt es an Nuancen. Die präsentierten Arbeiten reichern dieses Bild in ihrem ethnographischen Charakter an und weisen in der Art ihres Zugangs darüber hinaus. Die Bedingungen dafür, dass Etwas in Bewegung gerät, kommen in den Blick. Das Sichtbarmachen von Übersetzungen, Reibungen und Konflikten entlang der Kanäle transitorischer Ströme eröffnet neue Möglichkeiten, über Modalitäten des Austauschs nachzudenken – entlang ineinander verflochtener Maßstabsebenen. Die lange Zeit übliche Repräsentation des Lokalen als Haltestelle globaler Zirkulation verliert ihr Fundament – zugunsten seiner Situierung in einem „Feld“.

Der Autor: Oliver Müller ist Geopgraph und Mitarbeiter am Stadtforschungsinstitut OUI - Open Urban Institute in Frankfurt am Main.

Der Beitrag erschien zuerst im Katalog der Ausstellung „Transit: Ströme“, die vom 15. April bis 4. September 2016 in der Galerie der Schader-Stiftung gezeigt wurde.


Zum Weiterlesen

  • Manuel Castells, 2001: Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft. Das Informationszeitalter, Bd. 1. Opladen: Verlag Leske und Budrich.

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