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Gespräch über Bäume

Artikel vom 23.03.2023

Unwort-Bilder der Klimaterroristen. Ein Blogbeitrag von Alexander Gemeinhardt.

Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!

„Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!

Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.

Was sind das für Zeiten, wo 
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“

Vor 85 Jahren vollendete Bertolt Brecht „An die Nachgeborenen“ aus dem Zyklus der Svendborger Gedichte, am Vorabend des Krieges, den wir Deutsche gar nicht genug erwarten konnten. Entstanden 1934 bis 1938 richtet es sich wohl an uns, an die Nachgeborenen. Lassen Sie uns also über Bäume sprechen.

Ein Unwort, ein Ärgernis

Herzlich willkommen – im Namen der Schader-Stiftung und der Bürgerstiftung Darmstadt – zur Ausstellung zum Unwort des Jahres 2022: Klimaterroristen. Und mit dem Aussprechen sind wir auch schon mittendrin in diesem empörenden Sujet, das zunächst benannt werden sollte, bevor die ebenso unvermeidlichen wie herzlichen Freundlichkeiten einer Begrüßung folgen. Nun denn:

Schon die Benennung eines einzelnen Unworts ist ein Ärgernis, „weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt“. Reden über heißt eben auch immer nicht reden über. Nicht über den Angriffskrieg in Europa. Nicht über die Pfadabhängigkeit, in der Europa Krieg wieder als Option begreift und vorbereitet. Nicht über Armut, Ungleichheit, über Bildungsungerechtigkeit und Klassismus, Rassismus und Chauvinismus. Und über unsere vielen alltäglichen -ismen.

Aber das Unwort soll ja ein Ärgernis sein, die „Klimaterroristen“ aus dem Jahr 2022 sind es gleich in mehrfacher Perspektive. Nicht nur der polemische und die reale Gefahr durch Terror verharmlose und legitimen Protest diskreditierende Fokus stößt auf. Schon die Tatsache, dass gerade dieses Wort nicht im Femininum benutzt wird, ist absurd. Denn sind es nicht gerade junge Frauen, die mit der Wortwolke aus Klimaterroristen, Klima-RAF und Ökoterrorismus diffamiert werden? Also wäre doch zumindest Klimaterroristinnen angemessen gewesen. Eine Kollegin meinte, wer solche Worte benutzt, der gendere auch nicht. Da kann was dran sein.

Sprachkritik

Wir bewegen uns mit dem „Unwort des Jahres“ in einer sprachkritischen und nicht in einer politisch-aktivistischen Aktion – das mag gerne mal vergessen werden – und also kann gelernt werden aus diesem Unwort. Der Terror, soviel ist aus dem Latein-Unterricht noch übrig, ist der Schrecken. Und dieser Schrecken wird derzeit durchaus verbreitet, nicht immer gewollt, nicht immer aus Versehen, oft unvermeidlich. Der Schrecken, der unserer Gesellschaft und insbesondere der jeweiligen Jugend stärker noch als in den in dieser Hinsicht bereits apokalyptisch bewegten 1980er Jahren („no future!“) in die Glieder gefahren ist, der Schrecken des Ökoterrorismus, ist allgegenwärtig. Des Terrors an der Um- und Mitwelt, am Leben und an der Zukunft. Klimaterrorismus? Sicher. Doch vielleicht ganz anders als es sich das der Urheber des Begriffs gedacht hatte, vielleicht sind die Klimaterroristen ganz andere, nämlich jene, die Terror am Klima ausüben. Worte und Unworte bieten reichen Denkraum. Zumal wenn wir diese Unworte nicht nur hören und lesen, sondern dank des Engagements von neun Darmstädter Fotograf*innen auch sehen können.

Beiträge zu den Unwort-Bildern

Doch vor dem Sehen steht das Hören. Zwei vermittelte Beiträge erwarten uns heute – zunächst ein Grußwort unseres Oberbürgermeisters Jochen Partsch, der leider nicht persönlich da sein kann und uns seine Gedanken per Video geschickt hat. Diese Gedanken dauern genau sechs Minuten lang, um genau zu sein, dann können Sie sich besser darauf einstellen.

Wie ein Unwort entsteht und identifiziert wird, darüber wird anschließend Prof.in Constanze Spieß zu uns sprechen, die Sprecherin der Unwort-Jury. Sie wollte in jedem Fall hier sein, aber da sie leider an Covid erkrankt und seit heute ohne jede Stimme ist, wird ihr Grußwort anschließend durch unseren Kollegen Benjamin Stehl verlesen. Vor Ort ist aber Philipp Schrögel, der die Keynote sprechen wird. Das ist super, denn er kennt sich aus mit dem Gespräch zwischen sehr verschiedenen Menschen, Gruppen und Interessen: Philipp forschte am Karlsruher Institut für Technologie zu Wissenschaftskommunikation und arbeitete als Berater und Moderator für Bürger*innenbeteiligung. Er kennt sich aus mit Kunst, denn die Verbindung von Wissenschaftskommunikation und Kunst ist ein Schwerpunk seiner Arbeit und er kennt sich aus mit der Apokalypse, denn er ist Forschungskoordinator am Institut mit dem vielleicht lässigsten Titel der deutschen Forschungs-Community, dem Käte Hamburger Kolleg für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien in Heidelberg

Die Bilder, die uns in der Schader-Galerie erwarten, sind im besten Sinne erschreckend, verstörend. Sie spiegeln Bekanntes mit einem neuen, fotografischen, künstlerischen Blick. Sie zeigen Bedrohliches filigran und Schönes gefährlich. Die Bilder irritieren, lassen Auge und Gedanken stolpern und ermöglichen eine Bandbreite an Reaktionen und Emotionen. Von einem einfachen „so isses“ und der Bestätigung bekannter Feindbilder bis zu einem 360°-Blick und der Offenheit zum Dialog, den wir unter anderem mit vielen Führungen und auch mit der Podiumsdiskussion und der Fishbowl in den kommenden Tagen gemeinsam anregen wollen.

Heiner Müller, einer unserer bedeutendsten Dramatiker*innen des vergangenen Jahrhunderts, sprach von diesem Möglichkeitsraum von Kunst und dem Resultat ihrer Verfremdungspotenziale: „Die Funktion von Kunst besteht darin, die Wirklichkeit unmöglich zu machen.“ Und so kann es einem gehen bei dem fotografischen Spaziergang im Westwald, beim Blick in die Augen der vermummten, schwerbewaffneten Klimaterrorist*innen vor der Windschutzscheibe oder der Gegenüberstellung der vermeintlichen Zerstörung von Kunst und der vermeintlichen Anbetung von Design. Diese Wirklichkeit scheint unmöglich. Zumindest scheint sie nicht lebens- und erstrebenswert, wenn wir nicht die letzte Generation sein wollen, die sich diese Bilder erdenken kann. In diesem Sinne sind die Unwort-Bilder 2022 „Terror“, Schrecken. Und damit konstruktiv, wenn sie in einem Rahmen stehen wie dem des Dialogs zwischen Gesellschaftswissenschaften und Kunst, der einen Diskursraum öffnen möchte.

Dank und Ordnung

Deshalb haben wir zu danken und Dank zu sagen; an die Fotograf*innen, für Inspiration, Streit, geordnetes und strukturiertes Projektmanagement, (sorry, wie kam das jetzt ins Manuskript?!) Handwerk, Inspiration und Improvisation, an die Bürgerstiftung Darmstadt für die große Unterstützung und immer wieder kollegiale Kooperation als Stiftungen in der Wissenschaftsstadt Darmstadt, an unsere Kolleg*innen Anna-Lena Treitz für die erneute Organisation des Programms (nach 2019), diesmal unterstützt von Özlem Eren, an Alexander Hinz für die Technik; den Aufbau und die Veranstaltungstechnik und natürlich ganz besonders an Noukis Schnittchen, die nachher auf uns warten – ich weiß doch, warum Ihr eigentlich alle da seid!

Wir sind erfreulich viele Menschen, fast 350 und damit mehr als auf einmal in die Schader-Galerie passen, deren Kapazität auf unter 200 Personen begrenzt ist. Deshalb bitten wir Sie herzlich um Gelassenheit und Verständnis. Jene, die nachher noch einen Moment auf Einlass warten müssen, bleiben Sie im Gespräch - auch über Bäume - gerne noch hier. Jene, die direkt reinkommen – kleben (!) Sie nicht an Ihrem Platz und machen Platz für Nachkommende. Das wird wunderbar gelingen.

Auf Wiedersehen

„Dabei wissen wir ja: 
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.

Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.“

Da aber auch Grußworte ab einer gewissen Länge eine erschreckende Wirkung haben können, ziehe ich die Konsequenz und beende meines. Bis zum 6. April zeigen wir die Unwort-Bilder in der Schader-Galerie mit einem Begleitprogramm – auf einen anregenden Abend heute und gerne auf ein Wiedersehen in den kommenden Tagen!

Referenz

von Alexander Gemeinhardt, Direktor der Schader-Stiftung.

Der gesprochene Text der einführenden Ansprache zur Vernissage „Unwort-Bilder 2022: Klimaterroristen“ wurde für den schaderblog in Schriftsprache geglättet.

 

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