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Die schwarze Null - Trugbild oder demokratisches Leitbild?

Artikel vom 26.08.2019

Die schwarze Null gilt als der Inbegriff soliden öffentlichen Haushaltens. Ist die schwarze Null also eine Art „demokratisches Leitbild“ für eine öffentliche Finanzwirtschaft im Interesse der Bürger?

Symbol für Stabilität und Schutz

Ein ausgeglichener Haushalt, also einer mit einer schwarzen Null unter dem Strich, gilt in Deutschland als die Benchmark für gute Staatsfinanzen. Die schwarze Null signalisiert nachhaltiges, generationengerechtes Wirtschaften und finanzielle Sicherheit. Sie vermittelt eine Aussicht auf demokratische Stabilität und, so die Hoffnung, Schutz. Schutz vor zukünftiger Inhaftungnahme der Steuerbürger für nicht mehr tragbare Staatsschulden, Schutz des dauerhaften Erhalts öffentlicher Leistungen dank gesicherter Finanzierbarkeit, Schutz der demokratischen Selbstbestimmung vor Gläubigeransprüchen. Oder ist dies ein Trugbild? Vermag die Politik der schwarzen Null das zu leisten, was sie zu versprechen scheint und was von ihr erhofft wird?

Der grundlegende Gedanke, der Finanzhaushalt eines Staates sei auszugleichen, reicht zurück zum Beginn moderner Staatlichkeit an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert. In Deutschland wurde in der Zwischenkriegszeit, insbesondere den 1920er Jahre, der ausgeglichene Staatshaushalt zum Symbol für funktionierende Staatlichkeit, und zwar aus nationaler wie aus internationaler Perspektive. Deutschland war finanziell nur halb souverän, es stand unter Aufsicht, war verschuldet und musste umfangreiche Reparationen an seine ehemaligen Kriegsgegner leisten. Zahlungsverzug bestraften die Gläubiger mit einem Ausbau der Kontrolle, von er Überwachung der Staatsfinanzen durch Sachverständige bis hin zu militärischen Maßnahmen (Ruhrgebietsbesetzung 1923). Der Begriff schwarze Null hat erst in den letzten Jahrzehnten eine positive Bedeutung erhalten. Noch in den 1980er Jahren galt er als Euphemismus für einen nur notdürftig kaschierten Verlust. Heute ist es die Formel für den alten Gedanken des ausgeglichenen Staatshaushalts.

Bürgerliche wie linke Parteien haben die Sorge, dass Staatsverschuldung politische Handlungsspielräume einschränkt. Ob es aber für eine Demokratie elementar ist, über finanzielle Spielräume zu verfügen, oder ob Spielräume lediglich „nice to have“ sind, ist nur schwer zu beantworten. Elementar ist es für eine Demokratie, dass die Regierungen bereit und in der Lage sind, auf die Präferenzen und Interessen der Bürger einzugehen, sie also politische Responsivität zeigen können. Ob ausgeglichene Staatshaushalte Responsivität absichern, ist nicht eindeutig zu beantworten. Einerseits sollen sie der Absicherung künftiger finanzieller Handlungsfähigkeit dienen, indem einengende Schuldenlasten vermieden werden. Andererseits besteht die Gefahr, dass die Politik der strengen Sparsamkeit zu einem Verlust demokratischer Responsivität führt.

Auch wenn es derzeit Haushaltsüberschüsse gibt, ist die schwarze Null kein Thema von gestern. In Phasen positiver Konjunktur sollte es immer Haushaltsüberschüsse geben. Die aktuelle Konjunkturprognose für das Jahr 2020 geht von Haushaltsüberschüssen in Höhe von 0,9 % des BIP aus, was rund 30 Milliarden Euro entspricht. In den letzten zehn Jahren konnte man eine Verringerung oder Stabilisierung der öffentlichen Schulden beobachten. Zugleich gab es die Einführung der Schuldenbremse und wiederholt die schwarze Null. Damit ist jedoch noch nichts über die Wirkungszusammenhänge gesagt, da diese Zeit auch von einem sehr niedrigen Zinsniveau geprägt war. Politisch hat die schwarze Null aber Wirkung gezeigt, denn sie hat, so eine These, als effektive Steuersenkungsbremse („FDP-Killer“) gewirkt.

Die politische Idealisierung der schwarzen Null gilt fälschlicherweise als typisch deutsch. Auch andere OECD-Staaten haben sich erfolgreich einen Haushaltsausgleich zum Ziel gesetzt, und konnten diesen sogar über viele Jahre hinweg halten. Neuseeland hat zum Beispiel über 14 Jahre in Folge Haushaltsüberschüsse erzielt. Politiker, die als Symbolfiguren einer Politik des strikten Haushaltsausgleichs gelten, wie dies in Deutschland Wolfgang Schäuble ist, finden sich auch in solchen Ländern. Im internationalen historischen Vergleich gesehen ist es unwahrscheinlich, dass Deutschland über Jahrzehnte hinweg einen ausgeglichenen Staatshaushalt erreichen kann. Steuereinnahmen hängen von der wirtschaftlichen Entwicklung ab, und diese wiederum sehr stark von internationalen Ereignissen und Beziehungen. Den Gestaltungsmöglichkeiten einer Regierung sind hier Grenzen gesetzt.

Wirtschaftliche Krisenerfahrungen sind indes für die politische Fokussierung auf einen ausgeglichenen Haushalt sehr wichtig. Das lässt sich etwa für Schweden und Finnland nachzeichnen, die Anfang der 1990er Jahre eine große Bankenkrise erlebten, und in ähnlicher Form gilt dies auch für Kanada. Für Deutschland gelten die Kriegs- und Inflationserfahrungen der Vergangenheit als historische Quelle von Sparpolitik.

Haushaltsausgleich und Entscheidungsspielräume

Länder mit einem starken Fiskalföderalismus, wie etwa den USA oder der Schweiz, haben auf der unteren staatlichen Ebene strikte Haushalsregeln, der übergeordnete Staat kennt dagegen keine Schuldenbremsen. In einem fiskalföderalistischen Staat ist der Bailout das grundsätzliche Problem, und das gilt auch für die Eurozone. Der Umstand, dass hier eine strikte No-Bailout-Politik nicht durchzuhalten ist, wird dazu beigetragen haben, dass sich Deutschland als Stabilitätsanker präsentiert.

Die Verpflichtung zur ausgeglichenen Haushaltsführung, wie sie vielen Kommunen von ihren Aufsichtsbehörden strikt auferlegt wird, ist nur ein Element einer ganzen Reihe von Maßnahmen, mit denen die Gestaltungsfreiheit der Parlamente gezielt eingeengt wurde. Die Einführung der doppelten Haushaltsführung (Doppik) wird auch dazu gezählt. Dahinter steht die Befürchtung, dass die Politik grundsätzlich dazu neigt, über die eigenen Verhältnisse zu leben und damit letztlich die Bürger unverhältnismäßig zu belasten. Diese müssen schlussendlich über Steuern und Abgaben die Ausgabenpolitik bezahlen. Dem steht die Überzeugung gegenüber, Politik müsse strategiefähig und somit in der Lage sein, auf neue Herausforderungen zu antworten und in größerem Umfang zu gestalten. Beschränkungen der finanziellen Handlungsfähigkeit der Politik führe zu einer De-Politisierung parlamentarischen Handelns. Allerdings muss stets darüber entschieden werden, nach welchen Prioritäten begrenzte Ressourcen eingesetzt werden. Auch wenn Möglichkeiten zur Verschuldung bestehen, sind die Ressourcen nicht endlos. Irgendwo besteht immer eine Grenze der Handlungsspielräume.

Diese Spielräume sind im letzten Jahrzehnt, nach der Finanzkrise, dank Steuerzuwächsen jedes Jahr gestiegen. In den letzten drei, vier Jahren ist dieser Spielraum unerwartet sehr stark gestiegen. Herr Schäuble mag als strenger Zuchtmeister erscheinen, tatsächlich habe er nur darauf geachtet, dass der Steuerzuwachs nicht vollständig ausgegeben wird. Der Sorge, eine Politik ausgeglichener Haushalte führe notwendigerweise zu einem Investitionsstau und dem Verfall öffentliche Infrastruktur wird das Beispiel der USA entgegengehalten: hoch verschuldet, doch der Zustand der öffentlichen Infrastruktur sei noch desolater als in Deutschland.

In der politischen Praxis werden Entscheidungsspielräume vor allem durch Entscheidungen der Vergangenheit stark eingeengt. Über dauerhafte Ausgabenpositionen kann nicht so disponiert werden wie über einmalige Aufwendungen. Allerdings findet durch die Ausgabendynamik der einmal beschlossenen Positionen quasi automatisch eine Priorisierung statt. Der Sozialhaushalt ist in den letzten 40 Jahren stets stärker gestiegen als die Einnahmenseite. Dadurch entstehen Verdrängungseffekte, auch von Investitionen. Dies zu korrigieren, ist nicht einfach: Eine auf gesellschaftliche Gleichwertigkeit abstellende Sozialgesetzgebung kann nicht alle fünf Jahre auf den Prüfstand gestellt werden.

Abschied von der schwarzen Null?

Da sich Deutschland derzeit in einer sehr günstigen finanziellen Situation befindet und die Investitionszurückhaltung als Problem erkannt wird, wird über eine Lockerung der Schuldenbremse diskutiert. Wie kann das Ziel finanzieller Nachhaltigkeit aufrechterhalten und dennoch der Investitionsrückstand überwunden werden? Denkbar wäre eine Regel, die Ausnahmen für Investitionen erlaubt. Dazu ist es zentral, zu klären, was unter Investitionen verstanden werden soll: Sind es allein Baumaßnahmen oder gehören auch sogenannte Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung dazu? Notwendig ist es auch, eine kontinuierliche Investitionstätigkeit zu organisieren. Die hohen Haushaltsüberschüsse der Kommunen in den letzten Jahren hätten zu deutlich mehr Investitionen führen sollen. Allerdings kam diese Entwicklung sehr überraschend, und die Kommunen sind nicht in der Lage, aus dem Stand mit den gegebenen Kapazitäten so viele zusätzliche Mittel einzusetzen. Ein großes Problem für die kommunale Investitionstätigkeit ist die ungleichmäßige Ressourcenzuteilung aus dem Steueraufkommen. Gerade in Krisen gibt es deswegen immer wieder stop and go. Es sollte dringend über den Investitionsbedarf in Deutschland aufgeklärt werden. Dazu zählt eher bescheidende Anspruch, den Kapitalstock der öffentlichen Infrastruktur nicht schrumpfen und die Nettoinvestitionen nicht unter Null sinken zu lassen. Wenn dann noch Aufgaben wie Digitalisierung und sozialer Ausgleich hinzukommen, ist eine schwarze Null nicht zu halten.

Sinnvoll wäre es, wenn die haushaltspolitischen Debatten viel enger mit den Fachdebatten zusammengebracht würden. Die Diskussion darüber, wieviel Mittel im Haushalt zur Verfügung stehen und darüber, wieviel Mittel für bestimmte Aufgaben zur Verfügung gestellt werden sollten verlaufen zu stark isoliert voneinander.

Aus volkwirtschaftlicher Sicht sind Schulden immer auch Guthaben. Um wirtschaftliches Wachstum zu ermöglichen, kann nicht immer gespart werden, es muss auch investiert werden. Gegenwärtig verschuldet sich das Ausland für den Kauf deutscher Güter. Angesichts der aktuell extrem günstigen Konditionen für Deutschland wird über die Idee eines Staatsfonds diskutiert. Dessen Idee, der Staat verschuldet sich und investiert im privaten Kapitalmarkt, laufe darauf hinaus, vor allem im Ausland zu investieren. Sollten dagagen die Investitionen im Inland steigen, müsste vor allem der öffentliche Sektor beteiligt werden. Dort gibt es aber große Investitionshemmnisse. Und weil der Großteil der öffentlichen Investitionen im kommunalen Bereich getätigt wird, stehen die Kommunalfinanzen und das gesamte System der Gemeindefinanzierung hier an erster Stelle.

 

Grundlage dieses Beitrags ist ein Podiumsgespräch auf der Tagung „Öffentliche Güter und ihre Finanzierung – Herausforderung für die Demokratie“ am 27./.28. Juni 2019.

An dem Gespräch nahmen teil:

  • Dr. Stefan Bach, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
  • Dr. Lukas Haffert, Institut für Politikwissenschaft, Universität Zürich
  • Dr. Stefanie Middendorf, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF)
  • Prof. Dr. Martin Junkernheinrich, Lehrstuhl für Stadt-, Regional- und Umweltökonomie unter besonderer Berücksichtigung finanzwissenschaftlicher Aspekte, Technische Universität Kaiserslautern
  • Dr. Henrik Scheller, Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin.
  • Moderation: Dr. Tobias Robischon, Schader-Stiftung.

 

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