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Wie ein Taschentuch für den Glaspalast

Artikel vom 01.07.2020

Foto: shutterstock

Konjunkturprogramm und Klimakrise. Ein Blogbeitrag von Torsten Schäfer und Gösta Ganter.

Klein, zukunftsvergessen und mutlos

Wer sich mit Klima, Natur und Umwelt beschäftigt, der taucht auch tief in die Viruskrise hinein. Denn es gibt viele Parallelen, aber auch klare Unterschiede. Während das Coronavirus unerwartet kam, trifft das Gegenteil auf die Klima- und Umweltproblematik zu: Wir leben im Anthropozän und wissen das auch mehrheitlich. Und dennoch besteht ein eklatanter Zusammenhang zwischen der Ausbreitung des Virus und der ökologischen Problematik: Beides sind primär soziale Sachverhalte. Sie resultieren aus massiven Eingriffen in natürliche Kreisläufe, aus unserer Art zu wirtschaften und zu leben. Die Epidemie lässt eine leise Ahnung von der verheerenden Dynamik aufkommen, die durch die sogenannten Kipppunkte der klimatischen Veränderung ausgelöst werden. Wirtschaftskreisläufe werden kippen angesichts der Probleme und Bedrohungen in einer Zeit der Nichtklimapolitik, die auf eine drei oder vier Grad heißere Welt bis zum Ende des Jahrhunderts zusteuert. Die Situation ist wahrlich epochal. Industrieländer wie die Bundesrepublik tragen in ihr eine besondere globale Verantwortung.

Gemessen daran mutet das Konjunkturprogramm der Bundesregierung wie ein Taschentuch an, mit dem man einen verdreckten Glaspalast putzen will. Es ist zu klein, zukunftsvergessen und mutlos. Die gängige Analyse, wonach das Paket eher ein Erfolg sei, weil die Regierung mit der fehlenden Abwrackprämie das Schlimmste vermieden hat, irritiert. Sie zeigt, dass viele Analysten ebenfalls den Kopf in den Sand gesteckt haben und sich über jeden Lichtstrahl freuen, der zu ihnen nach unten dringt. Man mag das landläufig eine „realpolitische“ Betrachtung oder das bekannte „Fahren auf Sicht“ nennen. Doch diese Perspektive ist genau ein Teil des Problems und Grund dafür, warum Soziologen und Philosophen längst von einer breiten Zukunftsvergessenheit sprechen. Der Bedarf für Visionen ist essentiell – in allen Lebensbereichen.

Viele öffentliche Verwaltungen sind kaputtgespart

Warum also nicht die Kommunen ganz anders denken, wo ihnen ohnehin viel Verantwortung in der Viruskrise gegeben wurde, gerade den Gesundheitsämtern? Kommunen werden in den kommenden Jahren im Zuge der Klimafolgen die neuen Schaltstellen der Daseinsfürsorge werden. Dieser Begriff ist entscheidend, weil ihn 40 Jahre Neoliberalismus, Deregulierung und die Mär vom schlanken Staat zutiefst ausgehöhlt haben. Viele öffentliche Verwaltungen sind kaputtgespart und nicht mehr fähig, die neuen Aufgaben zu bewältigen, die Klimaerhitzung und Artensterben stellen. Nun sehen wir, wo überall Personal oder Strukturen fehlen – im Gesundheitswesen, den Schulen, Sozialämtern, aber auch in Forstämtern, die sich plötzlich um eine riesige Fläche sterbender Wälder kümmern müssen. Und in Wasser- und Naturschutzämtern, die versuchen, mit kleinen Stäben auf enormen Gebieten riesige EU-Richtlinien umzusetzen. Eine Sisyphusarbeit, sei es bei der Richtlinie für Gewässer oder der für Naturschutzgebiete und Artenschutz. Kommunen bräuchten neben dem verpassten Schuldenerlass mehr Personal, Mittel und Rechte in den Bereichen, die für das Dasein heute und morgen sorgen. Aber auch kluge Köpfe, welche die Verkehrswende vor Ort vorantreiben, eine regionale Ernährung organisieren, die Landwirtschaft mit steuern und alle Politikbereiche in den Klimakontext setzen – das könnten in Verwaltungen überall größere Zukunft- und Klimateams sein.

Was sich im Lokalen zeigt, gilt auch im globalen Maßstab: Der Wald stirbt. Deshalb müsste es nicht nur Gipfeltreffen geben, die Gelder für den Impfstoff einwerben. Sondern auch solche, die die wichtigsten Regenwälder der Erde unter internationalen Schutz stellen und sie so dem Zugriff nationaler Randalierer und Despoten entziehen. Ein solcher Waldschutz hieße, schnell einen wichtigen CO2-Speicher zu retten. Und es hieße, der Ausbreitung weiterer Viren und Krankheiten vorzubeugen, die oft von wilden Tierarten übertragen werden, die aus den Wäldern aufgescheucht, verkauft oder getötet worden sind. Wenn man jetzt die Aufbauprogramme und Strukturreformen nicht nutzt, um durch sie eine nachhaltige Entwicklung zu befeuern, dann waren die Corona-Einschränkungen sehr sachte verglichen mit dem, was wir durch Klimagasemissionen und Raubbau an der Natur anrichten. Und es von unseren Kindern und Enkelkindern ausbaden lassen. Noch ist die Chance nicht vertan, den Corona-Impuls für Rettung und Reform zu nutzen. Zweifelsohne haben viele Schritte des Wiederaufbaus mit guten Gründen lediglich kurzfristigen Charakter. Getrippel ist nie schön, die langen Schritte machen mit den kurzen zusammen den gelungenen Tanz aus – und vielleicht muss man so, spielerisch, experimentell, gar etwas sportlich, die Lage auch auffassen, um die Zukunft jetzt neu denken zu können. Weit hinaus über die Erkenntnisse des dominanten Technologie-Paradigmas, wonach E-Mobilität oder das ewige Talent, der Wasserstoffantrieb, gefördert werden müsse. Es geht im Kern um soziale und kulturelle Weichenstellungen, die durch technologische Neuheiten flankiert werden – doch sie sind nicht der Kern. Die Menschen, die Gesellschaft, deuten die Technologien, geben ihnen Sinn – oder nicht. Auch wenn manche Propheten der Digitalisierung anderes verkünden.

Kommunen standen schon einmal im Zentrum des Denkens

Die Herausforderung von Zukunftspaketen – es dürfen gerne Container sein – besteht auch inmitten der Corona-Pandemie darin, ein rein ökonomisches Wachstumsparadigma aufzubrechen und schrittweise in ein Gesellschaftsverständnis überzugehen, das neben Effizienz, Technologie und Leistung auch Zusammenhalt, Toleranz, Klimaschutz und Naturerhalt messbar honoriert. Genau dafür wäre es jetzt Zeit, auch mit Blick auf die Zyklen, die immer wiederkehren: Kommunen standen schon einmal im Zentrum des Denkens und künftigen Handelns zugunsten der Erde, der Klimakrise und der Abholzung der Wälder. Das war 1992, vor fast dreißig Jahren, beim Erdgipfel in Rio de Janeiro. Dort wurde die Agenda 21 geboren, die lokal handeln und global denken sollte, mit vielen kommunalen Gruppen weltweit.
So lange schon dreht sich vieles im Kreis, erhitzt der Planet, stirbt die Natur, schwindet der Wald, leidet der Mensch, immer mehr – nun an einer Pandemie.
Die Zusammenhänge sind klar und bekannt. Umso verwunderlicher ist es, wie gegenwartsverhaftet und zukunftsvergessen die politischen Reform- und Wiederaufbaupläne derzeit sind.

von Torsten Schäfer und Gösta Ganter.

Dieser Beitrag wurde am 18.06.2020 im ECHO zuerst veröffentlicht.

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