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„... was Bilder über Orte erzählen“

Artikel vom 03.03.2016

Florian Albrecht-Schoeck: aus der Serie AFTEЯ AFTEЯMATH 2015, ©Florian Albrecht-Schoeck

Was Rebecca Wilton und Florian Albrecht-Schoeck fasziniert, sind alltägliche Orte und Räume, die auf den ersten Blick mit wenig ästhetischem Wert einen Teil des Stadtraums beschreiben. In ihren fotografischen Momentaufnahmen halten sie Garagen, Hinterhofsituationen oder Parkplätze fest – allesamt alltägliche wie banale Orte – man könnte sagen Nicht-Orte. Von Diana Böhm

„Ist das Kunst oder kann das weg?“

Aufgeräumt, ordentlich und perfekt sieht es meist nur in den Zeitschriften oder im Film aus. Die Wirklichkeit ist anders. Dass ein Fettfleck sehenswert ist, zeigt uns der deutsche Künstler Joseph Beuys 1982 als Installation in der Düsseldorfer Kunstakademie. Es war ein Kunstwerk aus fünf Kilogramm Butter und nicht zu übersehen. „Ist das Kunst oder kann das weg?“ fragte man sich auch 2011 bei dem Werk „Wenn‘s anfängt durch die Decke zu tropfen“ von Martin Kippenberger im Dortmunder Ostwall-Museum. Eine Reinigungskraft beantwortete diese Frage ohne lange zu überlegen: weg! Doch, in den Räumen der Galerie war es hochkarätige Kunst und – sollte auf keinen Fall weg, ebenso wie die Beuysche Fettecke. Was für ein Malheur! Dennoch stellt sich ganz nüchtern betrachtet die Frage, warum Alltägliches überhaupt zum Kunstwerk und Ausstellungsstück avanciert und wir uns in Museen Exponate betrachten, die wir doch in Hülle und Fülle zuhause hätten, von Fett- und Wasserflecken oder vergilbten Schwarzweiß-Fotografien mal ganz abgesehen. Warum zeigen uns Künstler seit dem 19. Jahrhundert, genau genommen seit dem Im- und Expressionismus, nicht mehr das, was sie sehen und wir sehen wollen? Stattdessen wird die Wirklichkeit zusehends verfremdet, verzerrt, diffus oder unordentlicher. Die Farben entsprechen nur selten der Wirklichkeit, Bildthemen sind abstrakt, Fokus oder Ausschnitt sind nicht dort, wo man es erwarten würde. Leinwände werden größer, Farben weniger und Titel überflüssig. „Um Himmels willen“ möchte man sagen, warum zeigt ihr uns nicht das, was wir erkennen und verstehen können? Es scheint, als wäre die Zeit der „schönen Bilder“ vorbei und die Künstler der Neuzeit hätten das Interesse an fotogenen Motiven verloren. Kunst ist jetzt anders Kunst!

Konservierte Momente

Florian Albrecht-Schoeck: aus der Serie HEIMAT 2009, ©Florian Albrecht-Schoeck

Blickt man zurück in die Kunstgeschichte und sucht nach einem Zeitfenster, in dem auf den Bildern quasi realistische Blaupausen zu sehen waren, lässt sich die barocke Malerei schnell als die Epoche ausdeuten, in der die realistische Abbildungstechnik auf ihrem absoluten Höhepunkt schwebte. Danach abstrahiert die Kunst, fächert in Stilrichtungen auf und – man kann darüber streiten – entwickelt schlussendlich eine technische Bildmaschine, die die Malerei in gewisser Weise ersetzt – die Fotografie. Erfunden war ein Gerät und ein bildgebendes Verfahren, mit dem sich die Wirklichkeit detailgenau nachempfinden und als bildartiger Ausschnitt festhalten ließ. Verloren ging der Reiz der Unschärfe und die künstlerische Interpretationsfreiheit, die Wirklichkeit als artifizielles Unikat zu übersetzen.

Mit der Erfindung der Fotografie ging die Sehnsucht einher, Vergänglichkeit, Bewegung und Zufälliges einzufangen, abzulichten und den Moment als Bildstarre auf kleine Papierkarten zu konservieren. Anfänglich als matte Schwarzweiß-Abzüge auf Fotopapier, später als hochglänzende Farbaufnahmen standen Stilleben-, Portrait- und Landschaftsmotive im Mittelpunkt des damals „neuen“ Bildgebungsverfahrens. Bevor das Blitzlicht aufleuchtete, wurde arrangiert, drapiert und ein fotogenes Lächeln beim Objekt konstruiert, Brennweiten und Bildmittelpunkt überprüft, korrigiert und dann endlich abgedrückt. Die Kamera – Inbegriff für die Suche nach dem und das Warten auf das perfekte Motiv, der Perspektive und dem idealen Lichteinfall. Spontane Schnappschüsse galten lange als fatal und fotografisches Glücksspiel, da sich die Abzüge dann doch meist verwackelt oder unscharf entwickelten. Dem Fortschritt der Fototechnik sei Dank, dass die manuelle Fotografie in den Folgejahren schon bald abgelöst wurde. Digi-Cam und HD-Kameras eröffneten eine neue Welt der Bilderzeugung und machten es möglich, Artefakte und Umwelten sekundenschnell und hochaufgelöst zu reproduzieren.

Überwältigt und zugleich übersättigt von bunten High-Tech-Bildwelten, erreicht die einfache, alte „schnick-schnack-freie“ Fotografie eine neue Renaissance und das Foto rückt als Kunstobjekt zunehmend mehr in den Fokus Kunstinteressierter und -macher. Meist sind es jetzt wieder Alltagsszenen und Banalitäten, die durch ihre Natürlichkeit Assoziationen wecken und den Betrachter in den Bann ziehen.

Urs Wehrlis Fotopaare

Rebecca Wilton: VILLA 2003, ©VG Bild-Kunst Bonn 2015

Eine ganz eigene und als humorvoll bekannt gewordene Übersetzungsform der fotografischen Bildkunst macht sich zum Beispiel der Schweizer Künstler Urs Wehrli zu eigen und zeigt uns die umgebende Umwelt als Fotopaare. Für seine Bildmotive sucht er alltägliche Orte wie Parkplätze, Liegewiesen, öffentliche Plätze. Er bestückt sie mit Protagonisten, platziert unzählige Menschen auf Badetüchern auf der Wiese, wartet ab, bis der Parkplatz mit unterschiedlichen Fahrzeugen dicht gefüllt ist oder passt den Augenblick ab, an dem sich über den öffentlichen Platz hunderte Fußgänger kreuz und quer vorwärts bewegen. Das Ergebnis: Auch hier, wie bei Beuys oder Kippenberger, gewöhnliche Alltagsszenen und Situationen, die auf den ersten Blick wenig „besonders“ sind oder Anschein von Kunst erwecken. Oder doch? Wehrli konserviert mit der Kamera den Moment als eine fotografische Aufnahme eines Bildpaares. Danach beginnt er, das Bild und die „Unordnung“ darauf „aufzuräumen“. Bunt durchmischt aufgehängte Wäsche auf der Leine ordnet er nach Farben, Menschen auf der Liegewiese sortiert er wie in einer Excel-Tabelle größenmäßig in Decken-, Menschen- oder Sonnenschirm-Spalten, zufällig geparkte Autos auf dem Parkdeck werden nach Farben in Reihe und Glied platziert. Auf dem zweiten Bild inszeniert er damit eine künstliche Ordnung, zeigt uns einen artifiziellen Zustand und kontrastiert damit die alltägliche Wirklichkeit des Durcheinanders. Seine Vorher-Nachher-Werke sind kitschig, bunt, in der gepaarten Darstellung unordentlich und aufgeräumt zugleich.

Was uns diese Ordnungsliebhaberei auf den Fotografien zeigt, ist „auch“ Kunst. Es ist eine entrückte, inszenierte und überzeichnete Kunst, die animiert, die Umwelt und Umgebung auf humorvolle Art bewusst zu sehen und wahr zu nehmen. Und – so die Botschaft der Bilder – die auffordert, sich Orte anzueignen, sie zu aktivieren, mit Leben – mit „Unordnung“ zu füllen, um ihnen Gebrauchsspuren einzuschreiben. Handelt es sich um städtische Räume, sucht Wehrli oftmals subtile Orte und Plätze auf, die unbewusst genutzt und wahrgenommen, als leere Niemands- oder Durchgangsorte erinnert werden oder stiefkindlich im städtischen Raum vergessen sind. Ihnen schreibt er in seinen artifiziellen Darstellungsformaten des Fotos handlungsbedingte Nutzungen ein, überzeichnet, aktiviert, bespielt und holt sie aus dem Schattendasein, um sie in ein neues Licht zu stellen.

Transitorte

In der Ausstellung „Transit: Orte“ greifen die beschriebenen Themenfelder ineinander und es wird versucht auf die Frage des Transitorts eine grafische Antwort im Format der Fotografie zu geben. Durchdekliniert werden dabei nicht nur die Gestalt und das Aussehen von Transitorten, sondern auch die unterschiedlichen Blickwinkel, von denen aus die Durchgangsorte wahrgenommen und gesehen werden können – räumliche Bereiche, die nur flüchtig und in der Bewegungshandlung des Durchschreitens oder -fahrens erlebt werden. Es sind hybride Orte, die sich weder ausschließlich der gebauten Architektur noch öffentlichen Freiräumen zuordnen wollen, die aber Schnittstellen zwischen hier und dort bilden. Das Alltägliche bleibt dabei ebenso wenig besonders wie überraschend.

Transitorte sind vor allem Orte, die Geschichte erzählen, die abgegriffen, verbraucht und gebraucht wurden. Untrennbar verbunden damit verweisen Erinnerungen, Kindheitsgeschichten, Assoziationen oder Gefühle auf eine Zeit, in der die Orte intakt waren und häufig frequentiert wurden. Für Architekten und Stadtplaner sind diese Orte wichtige Bestandteile der uns umgebenden Landschaft, die verbinden und versorgen. Zugleich sind die wertvollen Erbstücke, Herausforderungen und Strukturen im städtischen Gefüge, die eine spannende Bauaufgabe darstellen. Gedanklich greifen wir Planer gerne schon bei der Bildbetrachtung zum geistigen Bleistift und überlegen, wie wir den ein oder anderen Ort in die Zukunft zeichnen, retten, verbessern oder übersetzen können. Vermutlich unterscheidet uns das von den Fotografen?

Orte erzählen

Rebecca Wilton: KAUFHAUS 2003, ©VG Bild-Kunst Bonn 2015

Für einen Stadtforscher sind die Exponate von Florian Albrecht-Schoeck ein wahrer Schatz. Auf den Bildern ist es menschenleer, doch erzählen die offensichtlichen  Gebrauchsspuren ganz unverstellt über das, was an den Orten passiert oder passierte. Seine Bildwelt stellt er stets in den Kontext und lässt damit die Randbereiche erzählen, wo und in welcher Nachbarschaft sich die Orte befinden, die er uns zeigt. Wenig aufgeregt und leise offenbaren sie, was unter Transitorten auch zu verstehen ist. Mit kleinen Details wie Parkverbotsschildern verrät uns das Bild beispielsweise, dass es sich hier um eine Feuerwehreinfahrt, an anderer Stelle um eine Tiefgarageneinfahrt handelt. Die Bildausschnitte sind so gewählt, dass sie den Betrachter mittig vor die abgebildete Szenerie stellen und ihm ein symmetrisch ausgerichtetes Bild präsentieren.  Die Orte sind meist menschenverlassen und leer. Zu verstehen hilft nur ein kleines Detail einer Rolltreppe oder die Beschilderung mit einem großen U, um den Transitort als Untergeschoss eines Kaufhauses zu dechiffrieren.

Der Frankfurter Künstler verzichtet auf Farbigkeit und bedient sich der reinen Schwarz-Weiß-Fotografie. Die gewählten Transitorte formatiert er in quadratischen Bildausschnitten und setzt daraus eine Serie.  Albrecht-Schoeck macht sich nicht die Mühe, die Orte ins rechte Licht zu rücken, deren Schönheit herauszuputzen und sie in den Vordergrund zu stellen. Nein, seine Motivwahl ist ehrlich und unverstellt, auf manchen Werken sogar schon fast ein bisschen gewöhnlich, weil verlassen und alltäglich. Schwer fällt die Unterscheidung, was das Bild zum Kunstwerk werden lässt, und man ist verführt auch hier zu fragen: Ist das Kunst, oder kann das weg? Doch was Florian Albrecht-Schoeck in den Ausstellungsräumen der Schader-Stiftung präsentiert, ist Kunst und höchst anspruchsvoll dazu. Denn der Fotograf hat es geschafft, die Orte aufzuspüren, zu charakterisieren und zu benennen, die alltäglich frequentiert und dadurch wenig spektakulär erscheinen. Es sind die „auch“-Transitorte – man könnte sagen Angst-Orte – die er zusammenführt und in einer Art Dokumentation dem Besucher offenbart. Aus Stadtforschersicht funktionieren die unverstellten Bilder wie ein aufgeschlagenes Buch, in dem man auf Detektivsuche gehen und über das Handeln an diesen Orten lesen kann. Auf dem leeren Parkplatz ist keine Staubwolke zu sehen, aber man kann es förmlich riechen und hören, dass dort normalerweise alles andere als tote Hose herrscht.

Alltägliches wird Kunstform

Florian Albrecht-Schoeck: aus der Serie AFTEЯ AFTEЯMATH 2015 (Detail), ©Florian Albrecht-Schoeck

Die in Berlin lebende Fotografin Rebecca Wilton greift in ihren Exponaten das Thema der subtilen Bewegungsräume auf und zeigt Orte, an denen sie den Bildbetrachter auf baulich-materiell vordefinieren Wegen oder Übergangsräumen durch das Gebäude, die Landschaft oder Stadt führt. Wilton provoziert, reizt und kontrastiert in ihren fotografischen Motiven mit dem Zustand der Leere, Verlassenheit, dem Zustand des Gebrauchten, ja beinahe schon des Verbrauchten. Auf den ersten Blick ist das Besondere der gewählten Motive fragwürdig, weil zu „normal“ und bekannt. Die Fotos halten die Zeit an und geben nur einen Bruchteil einer Bewegungsabfolge wieder: den Blick des Autofahrers, dessen Weg an einem Gebäudeensemble vorbeiführt, ein verlassenes Perron, aus dessen Pflasterritzen sich die Natur den Raum zurückerobert oder eine scheinbar verlassene Tankstelle.

Die Exponate zeigen Straßen, Wege, Schienen oder Treppen, die primär als vordefinierte Bewegungskorridore, weniger als raumgestaltendes Element funktionieren. Sie stecken einen Rahmen ab, innerhalb dessen sich der Nutzer durch die Stadt oder Landschaft bewegen darf, soll und kann. Anders als Florian Albrecht-Schoeck haucht Rebecca Wilton ihren Fotografien ein bisschen Leben ein, indem sie bewusst eine menschliche Figur platziert, die auf den ersten Blick nicht sofort ersichtlich, aber in allen Bildern immer wiederkehrend erscheint. Sie erinnert an eine Maßstabsfigur aus der Modellbaulandschaft der Architekturwelt, die dem Betrachter hilft, Raum und Proportion besser zu verstehen. In Wiltons Einzelbildern empfindet man diese Maßstabsfigur zunächst als störend. Sie ist keine Lesehilfe, steht zu weit weg, ist zu klein, zu versteckt, man muss sie suchen – muss weit in das Bild hineinsehen, lange schauen und in den Räumen spazieren, bis man sie findet. Ein Suchspiel, das aber hilft, den gezeigten Raum zu erfassen. Erst in der Reihung und Wiederkehr versteht man die Intervention der Künstlerin, mit der Figur eine poetisch artifizielle Setzung im morbiden Raum zu evozieren und Alltägliches zur Kunstform werden zu lassen.

Auf Farbigkeit will die Künstlerin nicht verzichten, doch dreht sie die Farbfilter der Wirklichkeit weg und verwandelt sie in weiche, erdige Töne. Die Stimmung wird überhöht, Dramatik geschaffen und der Zustand zum Retro. Das Foto lässt den Betrachter in eine Bildwelt unterschiedlicher Transit- und Bewegungsorte eintauchen. Wilton schafft es mit ihren Werken, den Betrachter zum aktiven Schauen zu animieren, dass er sich gedanklich auf macht, um neugierig durch das alte Kaufhaus zu wandeln oder voyeuristisch über den alten Teppichboden bis ans Ende des gammeligen Hotelflurs bis zu der Dame mit der Handtasche vorzudringen. Der Reiz von Rebecca Wiltons Auswahl an Transitorten liegt wohl darin verborgen, dass sie uns Orte zeigt, an denen wir für gewöhnlich nicht verweilen können und dürfen, nicht gesehen oder erwischt werden wollen, in der Ausstellung aber ungeniert schauen und stehen bleiben dürfen.

Die Autorin: Dipl.-Ing. Diana Böhm studierte Landschaftsarchitektur und Architektur und promovierte an der Technischen Universität Darmstadt. Sie ist seit 2015 akademische Mitarbeiterin am Städtebau-Institut der Universität Stuttgart.

Der Beitrag erschien zuerst im Katalog der Ausstellung „Transit: Orte", die vom 16. Oktober 2015 bis 28. Februar 2016 in der Galerie der Schader-Stiftung gezeigt wurde.

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