Filtern Sie im Bereich "Themen"

Thema
  • Gemeinwohl und Verantwortung
  • Demokratie und Engagement
  • Nachhaltige Entwicklung
  • Vielfalt und Integration
  • Kommunikation und Kultur
  • Stadtentwicklung und Wohnen
  • Demographie und Strukturwandel

Zur Filterung muss mindestens ein Thema ausgewählt sein.

Fokus
Zeitraum
Was bewegt Sie?

Sie haben offene Fragen? Anregungen? Ideen?

Wir kommen gerne mit Ihnen ins Gespräch. Bitte hinterlassen Sie das, was Sie bewegt, im Schader-Dialog.

Zuwanderung in Deutschland - Interkulturelles Wohnen

Artikel vom 11.06.2013

Städte wachsen heute im Wesentlichen durch Zuwanderung. Auf dem Wohnungsmarkt wurden und werden Migranten bislang nahezu ausschließlich als Interessenten für preisgünstige Marktsegmente betrachtet. Mit der Integration von Zuwanderern wächst aber auch eine neue Nachfrage nach anderen Segmenten. Zudem haben sich eine ganze Reihe von interkulturellen Projekten das gleichberechtige und friedvolle Zusammenleben verschiedener Ethnien zum Ziel gesetzt.

Integration durch Dispersion - ein diskriminierendes Leitbild?

Eingliederung qua Dispersion ist nach wie vor der Leitsatz aller Wohnungsunternehmen und -verwaltungen. Danach existieren günstigere Eingliederungsbedingungen in Nachbarschaften mit geringem bis mittlerem Immigrantenanteil. Bezogen auf die Nachbarschaftseinheit „Straße“ gilt ein Mischungsanteil von max. 10 % bis 15 % Migrantenfamilien als angemessen; pro Haus soll ein Anteil von 25 % bis 33 % nicht überschritten werden, wobei dieser Anteil allerdings nicht nur Angehörige derselben Zuwandererethnie umfassen sollte.
Allein dieses, nicht nur in der Wohnungswirtschaft gängige Leitbild beschädigt bereits das Image von Wohnquartieren mit einem höheren Anteil von Zuwanderern. Denn kein anderes soziales Differenzierungsmerkmal wird - zumindest nominell - derart deutlich mit „Obergrenzen“ belegt wie das der ethnischen Zugehörigkeit.

Pluralisierung der Migrantenbevölkerung

Kennzeichen eines pluralistischen Integrationsbegriffs sollte sein, dass die Mischung verschiedener Nationalitäten und Ethnien ebenso anerkannt wird wie die täglich erfahrbare Vielfalt der Lebensformen und Lebensstile.

Außerdem hat unter den Zuwanderern längst ein ähnlicher Differenzierungsprozess eingesetzt wie er unter der einheimischen Bevölkerung seit langem beobachtbar ist: die angestrebten und gelebten Lebensformen und Lebensstile werden bei Autochthonen wie Zugewanderten vielfältiger und variabler. Diese Erfahrung in praktische Wohnmodelle umzusetzen, steht weithin noch aus.

Zugänge zum formellen Wohnungsmarkt schaffen

Initiativen zur Öffnung des Wohnungsmarktes für Zuwanderer entstehen in der Regel im Rahmen des öffentlich regulierten Wohnsektors. Zugänge zum Wohnungsmarkt zu schaffen bzw. zu erweitern heißt zum Beispiel

  • Diskriminierung gegenüber der einheimischen Nachbarschaft überwinden; denn viele Menschen sehen nicht ein, weshalb der teure Wohnungsbau für Zuwanderer geöffnet werden sollte;
  • Kooperation von Wohnbauträgern mit sozialen Vereinen bzw. Institutionen; denn diese Vereine leisten häufig Beiträge zur Integration, die über das Wohnen hinaus gehen;
  • Selbsthilfe bei der Instandsetzung von Stadtteilen; dieser oft erfolgreich praktizierte Ansatz kommt Nachfragern wie Anbietern entgegen.

Wohnungsunternehmen und Integrationsprojekte

Viele Wohnungsunternehmen haben in den letzten Jahren Umstrukturierungen vorgenommen, um ihr Unternehmen zu öffnen und sich als modernes, kundenorientiertes Dienstleistungsunternehmen zu positionieren. Innovative Projekte, zu denen auch die Integrationsprojekte für Migranten gehören, sind Bestandteil dieser Neupositionierung der Unternehmen.

In realisierten Integrationsprojekten kommen Bedürfnisse zum Tragen, die im herkömmlichen Wohnungsbau nicht berücksichtigt werden: Die Bewohner - Einheimische wie Zuwanderer - sehen im interkulturellen Wohnen Vorteile für sich und ihre Kinder durch eine Erweiterung ihres Erfahrungsbereichs. Bei interethnischen Projekten handelt es sich um Marktnischen, die von der Vielzahl der Unternehmen in ihrer strategischen und wirtschaftlichen Bedeutung bislang noch nicht angemessen erkannt werden.

Zuwanderer als neue Nachfragergruppe

  • Wirtschaftliche Tätigkeit ist der Schlüssel für Integration. Kaum einer der wirtschaftlich erfolgreichen, integrierten Zuwanderer kehrt in sein Herkunftsland zurück. Erfolgreiche Migranten investieren im neuen Land - zum Beispiel in Immobilien.
  • Migrantenfamilien mit vielen Verdienern können durchaus potente Nachfrager auf dem Wohnungsmarkt sein - die sicherlich nur dort wohnen möchten, wo sie auch willkommen sind. Für die ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen kann sich hier ein neues Marktsegment abzeichnen.
  • Gelungene Integrationsprojekte tragen dazu bei, den Ruf eines Unternehmens insbesondere unter den Zuwanderern zu stärken, die aus marginalisierten Quartieren wegziehen wollen.

Praxisbeispiele und Projekte

Hilfen zur Eingewöhnung für ausländische Mieter - Nassauische Heimstätte Frankfurt am Main
„Unsere Verwaltungen sind zeitlich und räumlich völlig überfordert, die neuen Mieter an die Gepflogenheiten der alten heranzuführen. Die alten Mieter sind nicht gewillt und auch nicht imstande, noch ist es ihnen zuzumuten, den Hausmeister und Deutschkundelehrer zu spielen.
Aus dieser Not entwickelten wir zwei Videokasetten, die wir neuen Mietern verkaufen, nicht verschenken. Statistiken zeigen, dass 59 % aller Haushalte ein Videogerät haben, das fast nur von den unter 30-Jährigen regelmäßig benutzt wird. Dies ist unsere Zielgruppe der Neumieter.

Auf der einen Kassette wird beschrieben, wie man mit uns in Kontakt kommt. Welche Geräte und Gegenstände wir reparieren, und was die Mieter wiederherstellen müssen. In der schriftlichen Fassung, die wir als ‚Multimediaanbieter‘ mitliefern, sind dazu die entsprechenden Gegenstände mit ihrer deutschen Bezeichnung auf einem Bilderbogen aufgeführt. Unsere Mieterselbstbestellung für Reparaturen bis 500 DM sowie eine Handwerkerliste wird beschrieben. Die Hausordnung. Die Stoßlüftung. Die Betriebsabrechnung. Kurz und gut, was wir gern wollen, dass es alle Mieter wissen. Dies werden wir in den gängigen Sprachen unserer Mieter anbieten Dies ist jedoch eher Stand der Technik.

Ehrgeiziger und notwendiger ist unsere zweite Kassette. Sie hat den Titel: ‚Wir leben in Deutschland‘. Darauf wollen wir erklären, wie man sich in einer deutschen Umgebung möglichst unauffällig bewegt. Wir lassen uns von Ausländern beraten, auf was man in Deutschland achten muss, um keine Irritationen auszulösen oder Dinge falsch zu deuten: auf die Lautstärke, auf die Pünktlichkeit, auf die Kehrwoche. Dass die Wohnung an der Haustür anfängt und nicht an der Wohnungstür. Dass Bestechung verboten ist. Dass auf Ämtern und Firmen überall Frauen hinter den Schaltern sitzen und etwas zu sagen haben. Dass man Mädchen gegenüber keine drastischen Komplimente macht. Dass Deutsche zwar leise reden, aber nur im Männerchor laut singen. Dass sie Hunde halten. Dass sie spärlich bekleidet herumliegen, ohne unmoralisch zu sein. Dass sie sich betrinken. Dass sie ihr Auto verhätscheln. Dass sie bei Besuchen Blumen schenken, usw. , usw.“ (Bartholomäi 1999)

Vermietungsgenossenschaft Ludwig Frank eG in Mannheim
Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung statt Abriss waren das Kennzeichen der Gründung der Vermietungsgenossenschaft Ludwig Frank eG, die 1993 mit dem „World Habitat Award“ ausgezeichnet wurde. Denn die Idee dieser Genossenschaft verbindet die Erhaltung günstigen Wohnraums auf einem überschaubarem Areal mit gezielten Integrationshilfen für die in ihrer Mehrzahl ausländischen Mieter.

Berlin - Haus der Nationen
Das Haus der Nationen ist ein interkulturelles Projekt im sozialen Wohnungsbau der Charlottenburger Baugenossenschaft.

Interkulturelle Wohnprojekte in europäischen Ländern
Interkulturelle, interethnische oder internationale Projekte gibt es auch in anderen europäischen Ländern, vornehmlich in jenen, in denen die Meinung vorherrscht, dass es in der Stadt keine ethnisch segregierten Gebiete geben sollte. Das ist in Österreich, Deutschland, der Schweiz und - weniger ausgeprägt - in den Niederlanden der Fall, wogegen in Großbritannien ethnische Stadtteile eine Selbstverständlichkeit sind und in Frankreich sogar ganze ethnische Zonen existieren, ja ganze Städte, etwa Marseille, fast ausschließlich von den Zuwanderern geprägt sind.

Wo das Paradigma der gemischten Stadt besteht, müssen auch entsprechende Strategien entwickelt werden, wie zum Beispiel der freie Zugang der Migranten zu den Wohnungsmärkten, oder es gilt mit einzelnen Projekten zu beweisen, dass interkulturelles Wohnen - oder welche Bezeichnung auch immer man wählt - für beide Seiten, die Einheimischen wie die Zuwanderer einen Gewinn darstellt, Integration also keine Utopie, sondern realisierbar ist.

Vor diesem Hintergrund haben einige wenige experimentierfreudige Unternehmen und Städte so genannte Integrationsprojekte mit unterschiedlichen Zielsetzungen realisiert. Was kann aus den Beispielen gelernt werden? Es ist zu unterscheiden zwischen

  • Wohnanlagen, in denen Einheimische und Zuwanderer aus verschiedenen Ländern wohnen,
  • Wohnanlagen, in denen Einheimische und Zuwanderer aus im Wesentlichen nur einem Land wohnen,
  • Wohnhäuser, in denen Zuwanderer unterschiedlichen Alters aus einem Land wohnen,
  • Wohnanlagen, in denen Zuwanderer aus verschiedenen Ländern wohnen.

Die Zielsetzungen einiger Integrationsprojekte werden folgend kurz referiert, und zwar mit Blick auf die Aspekte, die für die Bewertung der „Interkulturellen Nachbarschaft“ wichtig erscheinen (Mühlegger 1999).

Wien - Wohnprojekt „Interkulturelles Wohnen“
Die Wohnanlage mit 51 Wohnungen - ein Genossenschaftsbau - befindet sich in einem Stadterweiterungsgebiet des 21. Bezirks, der einen Ausländeranteil von 8 % hat. Etwa 40 % der Haushalte sind Migrantenhaushalte. Die Initiatoren hatten sich das Ziel gesetzt, mit dem Projekt die soziale Integration der Zuwanderer durch „gute“ nachbarschaftliche Beziehungen zu Einheimischen zu fördern. Die bauliche Konfiguration und Gemeinschaftsflächen sollten das unterstützen. Die Auswahl der Bewohner erfolgte nach den Wartelisten der Genossenschaft und des Wohnberatungszentrums der Stadt Wien und über den Flüchtlingsfonds des Innenministeriums. Wegen der Wohnkosten richtet sich das Projekt nicht an einkommenschwache einheimische oder ausländische Haushalte, sondern nur an solche, die wirtschaftlich integriert sind.

Wien - „Interethnische Nachbarschaft“
Das Wohnprojekt „Interethnische Nachbarschaft“ liegt im 23. Bezirk der Stadt Wien. Dieser Bezirk ist kein Zuwandererbezirk. Das Projekt ist Teil eines Stadterweiterungsgebiets entlang der Anton-Baumgartner-Straße, einer vierspurigen Haupterschließungsstraße, die die neuen Gebäude säumen. Dem neuen Baugebiet gegenüber auf der anderen Straßenseite befindet sich der in den 70er Jahren gebaute Wohnpark Alterlaa, ein bis heute spektakuläres Bauprojekt mit mehreren tausend Wohnungen, einem Einkaufszentrum, Schulen usw. und einer U-Bahnstation Alterlaa, der Linie U6.

Der Standort könnte als eine Randlage gelten. Die Erschließung ist, vor allem wegen des U-Bahnanschlusses, aber so hervorragend, dass die Bewohner beides haben: die Vorteile des Wohnens am Rand der Stadt und einen schnellen Zugang zur Innenstadt und anderen Stadtbezirken.
Die neuen Gebäude entlang der Anton-Baumgartner-Straße bilden eine „Blockrandbebauung“. Mehrere Bauträger haben etwa gleich große Baublöcke entlang der Straße errichtet. Jeder Block hat einen eigenen Hof. Das Wohnhaus „Interethnische Nachbarschaft“ wird aus vier Bauteilen gebildet, die unterschiedliche Höhen haben. Zur Straße hin hat das Gebäude sieben Geschosse (ein Geschoss mit Geschäften und sechs Wohngeschosse), die anderen drei Bauteile haben vier Geschosse. Im Erdgeschoss des straßenseitigen Baukörpers und in einem der senkrecht dazu stehenden Baukörper befinden sich Geschäfte.

Für die 141 Wohnungen gibt es nur vier Stiegenhäuser. Beim straßenseitigen Bauteil führen sie in Laubengänge, die zur vielbefahrenen Anton-Baumgartner-Straße hin mit einer großflächigen Glasfassade abgeschlossen werden. Die Seitenflügel werden mit einem Mittelgang erschlossen. Jedes Treppenhaus mündet in einen Gemeinschaftsdachgarten, wo sich vier kleine Gemeinschaftsräume befinden. Zusätzlich gibt es auf dem Dach der Seitenflügel kleine private Dachgärten mit kleinen Hütten, vergleichbar den Schrebergärten. Dafür haben die Bewohner dieses Gebäudeteils keine Balkone. Die Erdgeschosswohnungen haben teilweise kleine Gärten. In einem Verbindungsteil zweier Baukörper befindet sich der große Gemeinschaftsraum. Außerdem gibt es einen so genannten Wellnessbereich mit Sauna und Türkischem Bad. Der Innenhof ist als Spielhof für kleinere Kinder konzipiert. Seine Fläche ist geneigt, so dass ein Teil des Untergeschosses eines Gebäudeflügels Tageslicht bekommt. Hier befindet sich der Wasch- und Bügelraum.

Köln - „Internationales Wohnkonzept“
Bei dem „multikulturellen“ Wohnbau handelt es sich im Unterschied zu den anderen hier vorgestellten Integrationsprojekten nicht um Mietwohnungsbau. Das Projekt umfasst 96 Eigentumswohnungen und fünf Reihenhäuser. 38 % der Wohnungen wurden von Zuwanderern gekauft. Die Deutschen einbezogen leben hier Haushalte aus elf Nationen.Die Initiatoren wollten mit der Wohnanlage einen Begegnungsraum der Kulturen schaffen und die Akzeptanz des Fremden fördern.

Der Stadtteil, in dem das Projekt gebaut wurde, hat einen Zuwandereranteil von 35 %, also einen vergleichsweise hohen Anteil. Bei der Planung wurde versucht, auf die speziellen Wünsche der muslimischen Bewohner Rücksicht zu nehmen. Wie die meisten Integrationsprojekte hat auch dieses einen Innenhof und einen Gemeinschaftsraum. Beim Verkauf wurde größter Wert darauf gelegt, dass die angestrebte Mischung der Bewohner zustande kommt. Erst wurden die Wohnungen Deutschen angeboten, dann Zuwanderern. Es wurde versucht, möglichst günstige Finanzierungen zu finden, teils auch mit Selbsthilfe.

Hannover - „Habitat: Internationales Wohnen am Kronsberg“
Mit der Bezeichnung „Habitat“ umreißt der Bauträger, die Gundlach GmbH in Hannover, das Programm des neuen Wohnprojekts: internationales Wohnen. Hierunter versteht der Bauträger ein Wohnprojekt, das in besonderer Weise die vermuteten spezifischen Bedürfnisse der Zuwandererfamilien berücksichtigen möchte.

In Deutschland leben legal sieben Millionen Zuwanderer. Sie müssen sich in einem nach autochthonen Mustern geprägten Wohnungsmarkt zurechtfinden. Es ist aber bekannt, dass Zuwanderer aus Ländern mit moslemisch geprägter Kultur spezifische Wohnbedürfnisse haben, und zwar sowohl was etwa den Grundriss anbetrifft als auch was die Wohnanlage anbelangt. Um über diesen Markt genauere Kenntnisse zu erlangen, hatte der Bauträger vor der Planung beim Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung der Universität Hannover eine umfangreiche Studie über die Wohnbedürfnisse der Zuwanderer in Hannover in Auftrag gegeben, die auch eine Befragung von Zuwanderern und Experten beinhaltete. Aus den Ergebnissen dieser Studie wurden dann Programmbestandteile des Projekts formuliert. Viele der in dieser Studie aufgegriffenen Fragen hat man sich auch bei der Vorbereitung des Projekts „Interethnische Nachbarschaft“ gestellt. Aus diesem Grund werden im folgenden die wesentlichen Ergebnisse der Hannoveraner Studie  zusammengefasst. (Anforderungen von Migranten, Marktstudie 1996)

Mehrheitlich sind die Migranten in Hannover gut mit Wohnraum versorgt. Türkische Haushalte und insbesondere Migrantenhaushalte mit Kindern haben im Durchschnitt aber weniger als einen Raum pro Haushaltsmitglied zur Verfügung. Eine wichtige Frage war: Suchen die in Hannover lebenden Migranten Wohnungen?

Das Potenzial der wohnungssuchenden Migranten beträgt in Hannover rund 20 % bis 25 %. Ein Viertel der Befragten erklärte, umziehen zu wollen. Ein Fünftel sucht aktiv eine andere Wohnung. Ein Drittel der Wohnungssuchenden sind ledige Migranten, die in der neuen Wohnung mit dem Partner zusammenziehen und eine Familie gründen wollen (30 %). Der größte Teil sind verheiratete Migranten, die entweder nach der Familienphase eine kleinere Wohnung oder mit der Familie eine größere Wohnung suchen (61 %). Etwa ein Fünftel suchen eine kleinere Wohnung, weil die Kinder ausgezogen sind. Aber die meisten Wohnungssuchenden sind vor 20- bis 39-Jährige, die eine Familie gründen wollen.

Wünschen die wohnungssuchenden Migranten spezielle Wohnungen?
Die Befragung zeigte, dass die Wünsche, was den Grundriss anbetrifft, sich überwiegend an deutschen Standards der Grundrissorganisation orientieren. Lediglich eine große Wohnküche mit integriertem Essplatz wird als Sondervotum häufig genannt. Das ist aber das einzige traditionelle ethnische Wohnmuster, das sich in der Umfrage als quantitativ bedeutsam herausgestellt hat. Einen „Allraum“ wünschten sich nur junge in Deutschland geborene oder hier aufgewachsene Migranten. Die Mehrheit der älteren Migranten hatte eher konservative Wohnvorstellungen.

Die „Mischung“ war eine weitere zentrale Frage. Dem landsmannschaftlichen Wohnen wurde eine deutliche Absage erteilt, ebenso fand das „Einmischen“ einzelner Migrantenhaushalte in Häuser mit deutschen Mehrheiten kaum Zustimmung. Statt dessen dominiert die Idealvorstellung einer paritätischen Mischungsstruktur von Deutschen und Migranten der jeweils eigenen Nationalität. Die internationale Mischung mehrerer Migrantenkulturen mit der deutschen Wohnkultur in der Nachbarschaft wurde trotzdem positiv aufgenommen. Bei Nachfragen, welche Nationen als Nachbarn gewünscht werden, zeigt sich ein eurozentrischer Blickwinkel. Das weist darauf hin, dass auch die Migrantenbevölkerung in Hannover wenig Kontakt mit fremden Kulturen hat. Das Interesse an einem internationalen Wohnprojekt korrespondiert mit einem Erfahrungsdefizit, das über alle Kontinente reicht.

Religion war kein bedeutendes Merkmal zur inhaltlichen Programmierung des Wohnprojekts. Nur eine Minderheit legte Wert darauf, dass in der Nachbarschaft Menschen mit demselben religiösen Glauben und denselben Riten und Gebräuchen wohnen. Hoch bewertet wird hingegen die Nähe zu Verwandten und Bekannten. Unter türkischen Migranten ist dazu das Sprichwort verbreitet: „Man kauft keine Wohnung, man kauft Nachbarn.“
Daraus wurden für das Wohnprojekt folgende Schlüsse gezogen: Das Potenzial von Migranten, die eine neue Wohnung suchen, ist groß. Für das internationale Wohnprojekt wurden folgende Zielgruppen ermittelt:

  • Junge Einpersonenhaushalte unter 30 Jahren, die in der zweiten Generation hier leben und sich nach der beruflichen Etablierung mit einer Wohnung auf die eigenen Beine stellen wollen. Von ihrem Bildungsniveau her stehen sie der Idee der interethnischen Nachbarschaft positiv gegenüber.
  • 25- bis 39jährige Migranten, die mit einer Partnerin bzw. mit einem Partner mono- oder bikulturell zusammenleben, teilweise bereits Kinder haben und mehr Wohnraum wollen. Auch sie begrüßen die interethnische Idee.   
  • Ältere Migranten, die als Paar oder verwitwet in der nachberuflichen und nachfamiliären Phase sind und ihren Haushalt verkleinern wollen. Sie stellen keine Ansprüche an die Internationalität des Wohnens, sondern schätzen eher die Nähe zu Verwandtschaft, zu Menschen gleicher Religion und vor allem suchen sie Sicherheit für das Älterwerden.

Zur Strukturierung des internationalen Wohnprojekts wurden drei Teilprojekte abgeleitet. Es handelt sich um:

  • „Interkulturelles Familienwohnen“ für deutsche Familien, Migrantenfamilien und bikulturelle Familien, deren Kinder in internationaler Mischung aufwachsen;   
  • „Interkulturelles Wohnen für junge Leute“, d.h. für Migranten und Deutsche, die sich als Haushaltsstarter in kleinen Wohnungen von ihren Herkunftsfamilien selbständig machen wollen;  
  • „Interkulturelles Seniorenwohnen“ für ältere Migranten, die ihren Wohnbedarf an die Lebenslage des Älterwerdens anpassen möchten.

Das Interesse des Bauträgers an einem solchen etwas ungewöhnlichen Programm war ein zweifaches: erstens besteht beim Inhaber der Gundlach GmbH ein sozialpolitisch motiviertes Interesse an neuen Bau- und Wohnformen. Dieses Projekt ist nicht das erste dieser Art. Schon zuvor hatte die Gundlach GmbH zwei spektakuläre Projekte realisiert, das so genannte Europahaus und das so genannte Regenbogenhaus. Ersteres ist ein Experiment im Fertighausbau mit Firmen aus mehreren europäischen Ländern, das zweite ist ein „Öko-Haus“ im geförderten Mietwohnungsbau.

Das zweite Interesse des Trägers ist ein durchaus kommerzielles. Die Projekte werden nicht nur vergleichsweise hoch mit öffentlichen Mitteln subventioniert (beim Habitat-Projekt gibt es eine Spezialförderung), sondern mit ihnen versucht der Bauträger auch eine Marktnische im heute schwieriger gewordenen Mietwohnungsmarkt zu besetzen. Mögliche Risiken sichert der Bauträger querschnittartig ab, indem er neben diesen Experimenten ein ganz normales Bauträgergeschäft ohne besondere Qualitätsmerkmale betreibt.

Auf der Grundlage des wissenschaftlichen Gutachtens und selbstgesetzter ökologischer Standards führte der Bauträger einen nicht-öffentlichen Architektenwettbewerb durch. Der prämie„te Entwurf zeichnete sich weniger durch architektonische Extravaganz aus, sondern durch „perfekte Normalität“, lag also ganz auf der Linie eines einerseits sich innovativ wähnenden, andererseits Sicherheit anstrebenden Bauträgers.

Bei den Wohnungen wurde zwar auf die Bedürfnisse der muslimischen Bewohner Rücksicht genommen. Im Zentrum des Projekts stehen aber die Gemeinschaftseinrichtungen, ein Gemeinschaftsraum und ein internationales Café, die auf einen öffentlich zugänglichen Freiraum orientiert sind. Nach allgemeiner Einschätzung hat das Projekt sein Ziel, das gemeinsame Wohnen unterschiedlicher Zuwanderergruppen, in hohem Maß erreicht.

München - „Integriertes Wohnen“
Das schon 1988 bezogene Wohnprojekt mit 78 Sozialwohnungen (Geschosswohnungen und einige Reihenhäuser) liegt in einem von der oberen Mittelschicht bevorzugten Münchner Stadtteil, der gleichwohl einen Zuwandereranteil von 20 % hat. Es handelt sich um die erste Wohnanlage in Deutschland mit der Bezeichnung „Integriertes Wohnen“.

Die Initiative war der Stadt ausgegangen. Mit Integration war ein breites soziales Programm verbunden: „selbstbestimmtes“ und „aktives“ Miteinander von deutschen und ausländischen Familien, allein Stehenden und Behinderten. Es handelt sich konzeptionell um ein von der Planung bis zur Verwaltung stark formalisiertes Konzept, was typisch ist für diese Zeit. Die Idee findet ihr bauliches Äquivalent in einem Innenhof mit zugeordneten Gemeinschaftsbereichen. Später wurde in unmittelbarer Nachbarschaft ein zweites Projekt dieser Art gebaut.

Basel - Wohnmodell „Davidsboden“
Das Projekt hat 127 Mietwohnungen. Etwa 25 % der Bewohner sind Zuwanderer. Der Stadtteil, in dem das Projekt gebaut wurde, und der als sozial benachteiligend bezeichnet wird, hat einen Ausländeranteil von etwa 18 %. Mit dem Wohnprojekt sollte zu einer sozialen „Stabilisierung“ des Stadtteils beigetragen werden.

Die Gebäudeteile bilden einen Hof mit Gemeinschaftsbereichen. Es gibt eine „interkulturelle“ Kinder- und Jugendbibliothek mit Büchern in elf Sprachen und einen Gemeinschaftsraum, einen Bioladen mit einem Café und einige Büros. Der Vermieter räumt den Mietern Teilhabe bei der Verwaltung ein, wofür ein so genanntes Selbstverwaltungsmodell konzipiert wurde.

Amsterdam, Rotterdam, Den Haag - ethnische Wohngebäude
Bei den Wohnhäusern, die ganz spezielle für eine bestimmte Gruppe geplant werden, kann man auf besondere kulturelle Eigenarten besser eingehen als bei Projekten wie der „Interethnischen Nachbarschaft“ in Wien, wo viele Nationalitäten vertreten sind. In den Niederlanden wurde bei einigen Projekten für Türken oder Marokkaner darauf geachtet, dass die Küchen größer und abgetrennt sind von den anderen Räumen. (Bei den Gesprächen mit ausländischen Bewohnern der „Interethnischen Nachbarschaft“ wurde gerade die hier realisierte offene Küche kritisiert. Sie passt nicht zu den Lebensgewohnheiten.) Auch bei der Zuordnung von Bädern und Toiletten sowie bei der Ausrichtung der Toiletten gibt es bei dieser Gruppe spezifische Wünsche.

Solche Wünsche zu erfüllen, ist sicherlich kein spezifischer Beitrag für Integration, erhöht aber die Zufriedenheit der Mieter mit der Wohnung. Im Falle „Habitat“ in Hannover wurden solche Details sehr genau beachtet, die zuvor durch Gespräche mit Zuwanderern ermittelt wurden. Voraussetzung war freilich, dass es eine Dominanz von Moslems gibt.

Beispiele für ethnische Wohngebäude sind in Den Haag „Die chinesische Brücke“, ein Haus mit 23 Wohnungen hauptsächlich für Migranten aus China gebaut, und in Amsterdam „Wi Kontren“, ein Wohnhaus mit 31 Wohnungen für ältere Migranten aus Surinam.

Den Haag - Wohnprojekt „Punkt und Komma“
Das Projekt hat 106 Sozialmietwohnungen. Hier leben Menschen aus Surinam (35 %), der Türkei (20 %), aus Marokko (17 %), weiteren Ländern (18 %) und 20 % Holländer. Diese Verteilung entspricht etwa der Zahl der Ethnien des Stadtteils, in dem das Projekt gebaut worden ist. Der Stadtteil selbst hat etwa 50 % Zuwanderer und wird als problematisch eingestuft. In der Studie des SRZ wird berichtet, dass die Bewohner dieses interkulturellen Projekts aus dem Wohnhaus ausziehen wollen, weil sie überhaupt dieses Stadtquartier verlassen wollen. Das ist, wenn es sich um aufstiegsorientierte Zuwanderer handelt, plausibel. - Dann ist aber auch ein solches Integrationshaus nicht sehr sinnvoll an diesem Standort.

Den Haag - „Haus des Friedens“
Dieses Projekt wird hier erwähnt, weil mit ihm ein bisher vernachlässigtes Thema aufgegriffen wurde: das Älterwerden der Migranten der ersten Generation. Im „Haus des Friedens“, das 30 Wohnungen hat, wohnen Migranten, die über 55 Jahre alt sind. Spezifische Wünsche, zum Beispiel ein Gebetsraum in der Wohnung, wurden berücksichtigt. Außerdem gibt es verschiedene Gemeinschaftsbereiche.

Den Haag - Das „Kamalhaus“
In diesem Projekt mit 34 Wohnungen wohnen Zuwanderer unterschiedlicher Generationen aus Surinam. 25 Wohnungen sind für Ältere, neun Wohnungen für Familien. Das Haus liegt in einem Stadtteil mit hohem Zuwandereranteil. Integration gilt hier also den Generationen.

Multikulturelles Wohnen älterer Migranten
Die ehemaligen Gastarbeiter der ersten Generation sind längst im Rentenalter. Nur wenige machen von ihrer Rückkehroption Gebrauch, die meisten verbringen ihren Lebensabend in Deutschland. Einrichtungen wie das multikulturelle Seniorenzentrum in Duisburg oder das Stiftungsdorf Gröpelingen in Bremen nehmen sich bereits jetzt der zunehmend an Bedeutung gewinnenden Frage des interkulturellen Wohnens im Alter an.

Fazit:
Die Integrationsprojekte in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich sind in den frühen 90er Jahren entstanden. Integriert werden sollte alles, was getrennt war, aber angeblich zusammengehörte: Jung und Alt, Familien und Behinderte, Deutsche und Zuwanderer. Das war damals eine politische Formel, mit der Modelle gegen die Segregationstendenzen in den Städten, gegen die Folgen der Individualisierung, die Erosion von Gemeinschaften und Familie usw. begründet wurden. Die Integrationsprojekte, die sich der Migration widmeten, sind - im Unterschied zu den Alten-Integrationsprojekten - nicht von den Bewohnern selbst, sondern von Fachleuten initiiert und konzipiert worden. Dementsprechend sind sie oft mit unerfüllbaren Ansprüchen überladen. Auch wurden Projekte als Strategiemaßnahme für weiterreichende Ziele - etwa Stabilisierung des Stadtteils - gesehen, womit ihre Wirkung überschätzt wurde.

Mit den Wohnprojekten werden neue Formen des Gemeinschaftslebens angestrebt. Die Gemeinschaft soll mit einem bestimmten Raum identifiziert werden können. Bei den deutschen und österreichischen Projekten und dem schweizerischen Beispiel hat das im Prinzip zur selben Bauform geführt, dem Wohnhof, dem Gemeinschafteinrichtungen angefügt sind. Außerdem gleichen sich die Arten der Wohnungserschließung, nämlich Laubengänge, die von den Architekten als „kommunikationsfördernd“ bezeichnet werden.

Bei den Grundrissen einiger Projekte haben sich die Architekten bemüht, ethnische Spezifika zu berücksichtigen, was im Nachhinein gesehen zwar sicherlich gut gemeint war, aber doch zu mancher Kuriosität ohne Bedeutung geführt hat. In ihrer Größe gleichen sich die Projekte. Allein die „Interethnische Nachbarschaft“ in Wien fällt mit 140 Wohnungen deutlich aus diesem Rahmen.

Es ist kein Zufall, dass es sich mit einer Ausnahme bei den Integrationsprojekten um Mietwohnungsbau handelt, denn allein hier ist Steuerung möglich. Aber dafür musste auch ein hoher Preis gezahlt werden durch hohe direkte und indirekte Subventionierung. Dennoch ist nur eine bestimmte, aufstiegsorientierte Zuwandererschicht erreicht worden.
Die niederländischen Beispiele zeigen eine andere Form oder - sozialräumlich ausgedrückt - andere Körnigkeit der Integration. Der „Integrationsraum“ ist nicht ein Haus, sondern der Stadtteil mit einzelnen ethnischen Wohngebäuden.

Literatur

Anforderungen von Migranten an Wohnungen und Gewerbestandorte. Marktstudie für das Projekt „Internationales Wohnen und Gewerbe am Kronsberg“. Hannover 1996 (IES-Bericht 203.96)

Bartholomäi, Reinhard Chr.: Gibt es eine Demokratisierung von Wohn- und Lebensformen? In: Hessisches Ministerium für Umwelt, Energie, Jugend, Familie und Gesundheit (Hrsg.): Stadtentwicklung und Migration. Dokumentation einer Expertentagung. Wiesbaden 1999

Brech, Joachim: Interethnische Nachbarschaften. Ein experimentelles Wohnprojekt der Gemeinnützigen Wohnungsaktiengesellschaft Sozialbau, Wien. Evaluation. (Manuskript) Frankfurt a.M. 2002

Hansen, Peter: Planen, bauen und verwalten für eine multikulturelle Gesellschaft. Das Habitat-Projekt am Kronsberg in Hannover. In: Schader-Stiftung (Hrsg.): wohn:wandel. Szenarien, Prognosen, Optionen zur Zukunft des Wohnens. Darmstadt 2001. S. 252-262

Hansen, Peter/ Schubert, Herbert: Internationale Nachbarschaft von Deutschen und Migranten im HABITAT-Quartier in Hannover o.J.

Mühlegger, Robert: Internationale innovative Entwicklungen im Wohnungsbau. Wien 1999 (Beiträge zur Stadtforschung, Stadtentwicklung und Stadtgestaltung, Band 65)

Mühlegger, Robert: Wohnen und Integration in europäischen Städten. Ausländische Erfahrungen mit Integrationsprojekten. Wien 1999 (unveröffentlichte Studie im Auftrag der Stadt Wien, Magistratsabteilung 18)

Naegele, Gerhard: Älterwerden in der Fremde. In: Brech, Joachim/ Vanhué, Laura (Hrsg.): migration. Stadt im Wandel. Darmstadt 1997. S. 233-243

Pahl, Walter: Zusammenarbeit zwischen Migranten und Deutschen in einer Genossenschaft. In: Brech, Joachim/ Vanhué, Laura (Hrsg.): migration. Stadt im Wandel. Darmstadt 1997. S. 208-215

Pahl, Walter: „Unter uns bleiben - ja bitte, nein danke!“ Integration von Zuwanderern. In: Schader-Stiftung (Hrsg.): wohn:wandel. Szenarien, Prognosen, Optionen zur Zukunft des Wohnens. Darmstadt 2001. S. 243-251

Cookie-Einstellungen

Unsere Seite verwendet Cookies und ähnliche Technologien. Hierbei wird zwischen technisch notwendigen Cookies zum Bereitstellen der Webseite und optionalen Cookies, z.B. zur Auswertung der Webseitennutzung, unterschieden.
Mehr Informationen dazu finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen. Dort können Sie auch jederzeit Ihre Präferenzen anpassen.

Erweiterte Einstellungen