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Interkulturelle Öffnung als Teil einer Entwicklungsstrategie ländlicher Kommunen im Strukturwandel?

Artikel vom 17.01.2014

Das Thema Integration von Zuwanderern im ländlichen Raum gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die Erschließung der Potenziale von Zuwanderern durch eine strategische Verankerung integrationspolitischer Handlungsansätze und die Etablierung einer Anerkennungs- und Willkommenskultur könnte ein Beitrag zur Stabilisierung der kommunalen Entwicklung sein. Mehr zu diesem Thema liefern die Ergebnisse des Projektes „Integrationspotenziale ländlicher Regionen im Strukturwandel“. Von Gudrun Kirchhoff und Claudia Bolte

Einleitung

Erst allmählich rückt der ländliche Raum in die integrationspolitische Betrachtung. Maßgeblichen Einfluss hatte der Diskurs zum Nationalen Integrationsplan der Bundesregierung, der das Thema auch bei den Kommunen im ländlichen Raum stark befördert hat. Gleichzeitig haben der demografische Wandel und der sich abzeichnende Fachkräftemangel den Blick auf Zuwanderung und Integration in den ländlichen Kommunen gelenkt.

Vor diesem Hintergrund hat die Schader-Stiftung zusammen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dem Deutschen Landkreistag und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund das Projekt Integrationspotenziale in kleinen Städten und Landkreisen von 2009 bis 2011 durchgeführt. Mit diesem Projekt wurde erstmalig die Situation von Zuwanderern in Klein- und Mittelstädten des ländlichen Raums bundesweit vergleichend untersucht.

Anfang 2012 hat die Stiftung das ebenfalls dreijährige Nachfolgeprojekt Integrationspotenziale ländlicher Regionen im Strukturwandel gestartet. Im Unterschied zum Vorgängerprojekt nimmt dieses dezidiert die Probleme strukturschwacher ländlicher Kommunen auf und will diese durch eine Potenzialanalyse und ein anschließendes Coachingverfahren für einen potenzialorientierten Umgang mit Zuwanderung und kultureller Vielfalt qualifizieren. Kern ist hierbei die interkulturelle Öffnung der kommunalen Regeldienste und die Etablierung einer neuen Willkommens- und Anerkennungskultur. Ziel ist, durch eine strategische Neuausrichtung der kommunalen Integrationspolitik und verbesserte Teilhabechancen die Potenziale der in den Kommunen lebenden Zuwanderer für kommunale Entwicklungsprozesse zu gewinnen und mögliche Neuzuwanderer zu werben.

An dem Projekt sind bundesweit sieben Städte mit ihren Landkreisen beteiligt (siehe Abbildung 1). Die Forschungsarbeiten und das Coachingverfahren hat das Institut für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration – DESI in Kooperation mit der imap GmbH Institut für interkulturelle Management und Politikberatung übernommen.

Integrationsbedingungen

Der ländliche Raum in Deutschland ist heterogen und vielfältig. Die jeweilige geografische Lage, die Siedlungsstruktur, die demografische und wirtschaftliche Entwicklung, aber auch die sozialhistorische Prägung und die lokale Zuwanderungsgeschichte sind Ausgangspunkte für die Situation der Zuwanderer in den ländlichen Regionen und die kommunale Integrationspolitik. Der Grad der Zuwanderung ist maßgeblich abhängig von der Wirtschaftskraft einer Region. In den am Projekt „Integrationspotenziale ländlicher Regionen im Strukturwandel“ beteiligten Städten bewegt sich der Anteil der ausländischen Bevölkerung zwischen 3,6 Prozent (Hansestadt Stendal) und 14 Prozent (Schwäbisch Gmünd). Die Gesamtzahl der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist in den meisten Städten nicht genau bekannt. Die Schätzungen belaufen sich von etwa 10 Prozent bis 33 Prozent (Schwäbisch Gmünd). Laut Mikrozensus 2010 haben im Durchschnitt 11 Prozent der Bevölkerung des ländlichen Raums einen Migrationshintergrund.

Arbeitsmigration und Familiennachzug sind auch im ländlichen Raum Hauptgründe für  Zuwanderung. Darüber hinaus haben sich in den ländlichen Regionen verstärkt (Spät-) Aussiedler angesiedelt, was zum Teil auf den Zuweisungsregelungen der Länder und der Lage von Übergangswohnheimen basiert, aber auch auf Wohnpräferenzen hinweist. Hinzu kommen aktuell verstärkte Zuweisungen von Asylbewerbern und Flüchtlingen, was die betroffenen  Kommunen hinsichtlich der Anforderungen bei Unterbringung und Betreuung stark belastet.

Spezifische Probleme für die Integrationsarbeit im ländlichen Raum sind der vergleichsweise niedrige Anteil von Migrantinnen und Migranten und damit einhergehend wenig politische Beachtung, die geringe Siedlungsdichte, Mobilitätsdefizite und die damit verbundene schlechte Erreichbarkeit von Dienstleistungs- und Infrastrukturangeboten. Hinzukommen die begrenzten Möglichkeiten kommunalpolitischen Handelns aufgrund enger finanzieller Spielräume, fehlende Personalressourcen in der Verwaltung, die begrenzte Zahl an professionellen Akteuren und Kooperationspartnern und damit Probleme bei der Aufrechterhaltung spezifischer Beratungs- und Dienstleistungsangebote für Migrantinnen und Migranten. Nur wenige Kommunen des ländlichen Raums verfügen bereits über integrationspolitische Konzepte und Strukturen, wie Integrationsbeiräte und Integrationsbeauftragte. Strukturen einer strategisch ausgerichteten Integrationsarbeit haben eher die Landkreise etabliert, ihnen kommt daher eine wichtige Transfer- und Koordinationsfunktion für die kreisangehörigen Kommunen zu.

Demografischer und struktureller Wandel

Zur Bewertung der Integrationsprozesse in den ländlichen Regionen ist eine Betrachtung der bevölkerungs- und wirtschaftsstrukturellen Veränderungen von Bedeutung. Die demografische Entwicklung weist in den vergangenen Jahren in ländlichen Regionen im Vergleich zu städtischen Regionen auf eine weniger dynamische Bevölkerungsentwicklung hin, vor allem in den peripheren Lagen. Abbildung 2  verdeutlicht, dass die Bevölkerung zwischen den Jahren 2005 bis 2010 nach Kreistypen lediglich in den kreisfreien Großstädten einen Zuwachs verzeichnen konnte.

Ähnlich sieht die Entwicklung bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus (siehe Abbildung 3), auch sie gestaltet sich in ländlichen Kreisen weniger dynamisch im Vergleich zu Großstädten. Allerdings zeigt sich die Entwicklung bei den Beschäftigten mit Berufsausbildung etwas stabiler als in Großstädten. Der demografische Wandel hat demnach Folgen für den Arbeitsmarkt und führt zu einer Fachkräfteverknappung, die bereits in einigen Berufen, wie beispielsweise der Kranken- und Altenpflege erkennbar ist.

Der sich vollziehende wirtschaftliche Strukturwandel hat auch in den ländlichen Regionen zu einem Funktionswandel geführt – von einer überwiegend agrarwirtschaftlichen Bestimmung zu einem breiten Spektrum wirtschaftlicher Aktivitäten. Dies führt zu einem veränderten Arbeitskräftebedarf in ländlichen Regionen. Ferner beschleunigt die verstärkte Globalisierung und verbesserte Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten den wirtschaftlichen Wandel auch in ländlichen Regionen. Für die Zukunft geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) davon aus, dass es in den kommenden Jahren zu weiteren Arbeitsplatzverlusten im Agrarsektor kommen wird. Für das produzierende Gewerbe, das für den ländlichen Raum eine große Bedeutung hat und die Erwerbstätigkeit in diesen Räumen stärker prägt als in verdichteten Kreisen, zeichnet sich ebenfalls ein Rückgang der Zahl der Beschäftigten ab. Dieser Rückgang fiel allerdings in ländlichen Kreisen Westdeutschlands geringer aus. (Kriehn 2011, S. 26)

Den stärksten Bedeutungsgewinn erfährt seit 1996 der tertiäre Sektor, und dies nahezu flächendeckend – sowohl in verdichteten als auch ländlichen Regionen. Seit 2008 beträgt der Anteil aller Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor in allen Kreistypen mehr als 60 Prozent. Das IAB prognostiziert, dass der Arbeitskräftebedarf im Dienstleistungssektor bis zum Jahr 2025 weiter ansteigen wird, vor allem im Bereich der unternehmensnahen Dienstleistungen. Für die Entstehung neuer Arbeitsplätze in ländlichen Regionen scheint daher der Dienstleistungssektor verstärkt von Bedeutung zu sein. Hinzuweisen ist allerdings auf den Entwicklungsunterschied zwischen verdichteten und ländlichen Kreisen: Im Jahr 2008 arbeiteten rund drei Viertel der Erwerbstätigen in den verdichteten Kreisen im Dienstleistungssektor, in den ländlichen Kreisen nur etwa zwei Drittel. Hierfür sind vor allem zwei Standortnachteile ländlicher Regionen verantwortlich: 1. Die mangelnde Breitbandversorgung und 2. Die geringere Unternehmensdichte und kleinteilige Wirtschaftsstruktur (KMU) und somit das geringere Nachfragepotenzial an Dienstleistungen (ebenda, S. 27/28).
Die Entwicklung und der Einsatz neuer Technologien, der wirtschaftsstrukturelle Wandel und intrasektorale Verschiebungen bei der Beschäftigung ziehen Veränderungen beim Fachkräftebedarf und den erforderlichen Qualifikationen nach sich. Infolgedessen steigt der Anteil der Erwerbstätigen mit hohem Bildungsstand in Deutschland seit Jahren an (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010, S. 22/23). Es ist davon auszugehen, dass sich der Trend zur Höherqualifikation und die Nachfrage an Personen mit Hochschulausbildung in den nächsten Jahren weiter fortsetzen werden. Laut einer Studie des Thünen-Institutes ist davon auszugehen, dass der Trend zur Höherqualifizierung bereits alle Raumtypen erfasst hat und auch ländliche Räume einen steigenden Bedarf an Arbeitskräften mit Fachhochschul- oder Universitätsabschluss haben werden (Kriehn 2011, S. 33/34).

Angesichts der beschriebenen Entwicklungen und der Tatsache, dass der demografische Wandel und der Bevölkerungsrückgang nicht mehr umkehrbar sind, rückt auch die Anwerbung ausländischer Fachkräfte in den Fokus. Das Interesse an der Zuwanderung von im Ausland ausgebildeten Fachkräften ist auch bei Unternehmen im ländlichen Raum gegeben. In den für das Forschungs-Praxis-Projekt ausgewählten Projektkommunen sind es gegenwärtig einige Unternehmen mittlerer Größe, die sich bereits aktiv um die Anwerbung ausländischer Fachkräfte bemühen (z.B. Krankenhäuser). Die Projekterfahrungen zeigen allerdings auch, dass die Unternehmen hierbei Hilfestellungen benötigen. Die überwiegend klein- und mittelständischen Unternehmen verfügen häufig nicht über die Ressourcen (Personal- und Zeitknappheit), um international Bewerber zu akquirieren. Zudem prägen Kontinuität, Routinen und Traditionen die Strukturen und Arbeitsweisen der Unternehmen im ländlichen Raum, die für neue Mitarbeiter und insbesondere für Migrantinnen und Migranten eine Hürde darstellen können.

Integrationspolitik als Antwort auf den demografischen Wandel

Mit dem demografischen Wandel und dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel streben auch die Kommunen des ländlichen Raums eine stärker strategisch ausgerichtete Integrationspolitik an. Die Kommunen erkennen, dass die Funktionsfähigkeit des städtischen Gemeinwesens und der örtlichen Infrastruktur von der Aktivierung bislang ungenutzter Potenziale und vom Zuzug neuer Personen abhängt. Das gilt sowohl für den örtlichen Arbeitsmarkt, als auch für viele ehrenamtliche Strukturen wie Kirchengemeinden, freiwillige Feuerwehren, Vereine etc. Unter dem „Druck der Demografie“ vollziehen sich Öffnungsprozesse in den ländlichen Kommunen gegenüber Migrantinnen und Migranten.

Ausgangspunkt für eine strategische Ausrichtung ist, dass die Stadtspitze das Thema Integration als kommunalpolitisches Zukunftsthema erkennt, aufgreift und mit Fragen der allgemeinen städtischen Entwicklung verknüpft. Hierfür ist ein Perspektivenwechsel von einer eher defizitorientierten hin zu einer ressourcenorientierten Integrationspolitik erforderlich, der sowohl von der Verwaltung als auch von den politischen Gremien nachvollzogen wird und günstigenfalls in integrationspolitischen Leitlinien mündet.

Interkulturelle Öffnung der kommunalen Verwaltung

Für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Kommunen im ländlichen Raum sind die Etablierung eines Klimas der Offenheit und Toleranz und die interkulturelle Öffnung der Institutionen von zentraler Bedeutung. Interkulturelle Öffnung ist als „soziale Öffnung“ zu verstehen, mit dem Ziel,  gerechte Teilhabemöglichkeiten aller Bürger an Angeboten und Dienstleistungen der kommunalen Institutionen herzustellen. Dabei gilt es, das Verwaltungshandeln auf allen Ebenen (Leitbild, Kommunikation, Umgang, Mitarbeiterstruktur, Ressourcenverteilung etc.) zu reflektieren, unbewusste Diskriminierungsmechanismen aufzudecken und einen „barrierefreien“ Zugang zu ermöglichen. Zuwanderer müssen sich in den Institutionen wiederfinden, damit sie einen Anreiz haben, sich mit der Gesellschaft zu identifizieren. Die Präsenz von Zuwanderern als Beschäftigte in öffentlichen Institutionen fördert deren Anerkennung und eine Normalisierung des Zusammenlebens.

Die meisten der am Projekt beteiligten Kommunen haben weder Wissen über den Anteil von Beschäftigten mit Migrationshintergrund in ihren Verwaltungen noch existieren bisher Konzepte zu ihrer gezielten Anwerbung. Dort, wo es bekannt ist, liegt der Beschäftigtenanteil meist im unteren einstelligen Prozentbereich, also weit unter dem realen Anteil von Migrantinnen und Migranten an der lokalen Bevölkerung. In einen zweistelligen Prozentbereich kommt nur die Projektkommune Schwäbisch Gmünd, wo man sich in der Vergangenheit gezielt darum bemüht hat, Migrantinnen und Migranten als Mitarbeiter oder Auszubildende und Anwärter im öffentlichen Dienst zu gewinnen.

Interkulturelle Öffnung als Prozess der Organisations- und Personalentwicklung ist für die meisten beteiligten Projektkommunen neu. Erfahrungen mit interkultureller Öffnung beziehen sich durchgängig auf interkulturelle Kompetenzschulungen einzelner Mitarbeiter. Bei diesen Schulungen handelte es sich um singuläre Maßnahmen, die bisher nicht in einem strategischen Zusammenhang stehen.

Seminar- und Coachingprozess zur interkulturellen Öffnung

Wie eingangs erwähnt, hat das im Rahmen des Projektes angebotene Seminar- und Coachingverfahren zum Ziel, interkulturelle Öffnungsprozesse in den Kommunalverwaltungen strategisch zu verankern und dauerhaft zu implementieren. Die Anforderungen richten sich an die Verwaltung insgesamt, ihre Aufgaben und Angebote auf eine sozial, kulturell und religiös vielfältiger werdende Gesellschaft auszurichten.

Das Konzept umfasst vier Schritte, die aufeinander aufbauen, und verfolgt dabei einen top-down-Ansatz. In Auftaktworkshops wurde zunächst die Führungsebene für das Thema interkulturelle Öffnung sensibilisiert und strategische Ziele vereinbart. Trotz der unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Projektkommunen sind die erarbeiteten strategischen Ziele durchaus vergleichbar. An erster Stelle steht die Stärkung der Kommune als Wohn- und Wirtschaftsstandort, die Stabilisierung der Bevölkerungszahl bzw. ein Zuwachs der Bevölkerung, die Fachkräftesicherung und die Schaffung einer Willkommenskultur zur Anwerbung qualifizierter Fachkräfte.

In anschließenden Workshops mit der Personalleitungsebene wurden Bausteine eines interkulturellen Personalmanagements geprüft. Konkrete Maßnahmen wurden dann von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgewählter Pilotabteilungen in mehrtägigen Workshops entwickelt und als Elemente zur Implementierung interkultureller Öffnung in der Verwaltung verabredet. Als Maßnahmen sind bisher in erster Linie solche vorgesehen, die die Sprachbarrieren überwinden helfen, so zum Beispiel mehrsprachige Hinweisschilder in der Verwaltung und mehrsprachige Informationen als Broschüren oder als Internetangebot. Hinzu kommen Maßnahmen des Personalmarketings, wie veränderte Stellenausschreibungen unter Einbeziehung interkultureller Kompetenz als Anforderungsprofil zukünftiger Bewerber. Maßnahmen, die eine Veränderung der Organisationsstruktur zum Ziel haben, waren nicht in der Diskussion. Die Phase der konkreten Umsetzung wird durch das mit dem Prozess beauftragte imap-Institut weiterhin beratend begleitet.

Auch wenn das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, so ist insgesamt offen, ob es wirklich gelingt, interkulturelle Öffnung als Change-Prozess in den Verwaltungen der am Projekt beteiligten Städte nachhaltig zu verankern. Wichtig wäre, dass die Führungsebene diesen Prozess vorantreibt und Ressourcen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür freistellt. Da als Pilotabteilungen in erster Linie Bereiche mit Kundenkontakt beteiligt waren, wie das Sozialamt oder das Ordnungsamt, ist noch nicht einschätzbar, wie Bereiche mit strategischer Ausrichtung, wie die Stadtentwicklung oder die Wirtschaftsförderung, in einen solchen Prozess einbezogen werden können. Hier wäre die Führungsebene gefordert, die Verknüpfung unterschiedlicher Zieldefinitionen kommunalen Verwaltungshandelns im Kontext einer integrierten Entwicklungsstrategie zu leisten und Akzeptanz für diesen Veränderungsprozess zu schaffen.

Schaffung einer Willkommens- und Anerkennungskultur

Um die Attraktivität der Gesellschaft für Zuwanderer zu steigern wird vermehrt über die Schaffung einer Willkommens- und Anerkennungskultur diskutiert. Hinter der Doppelbegrifflichkeit verbergen sich zwei zu unterscheidende Ansätze. Die Willkommenskultur richtet sich an Neuzuwanderer, unterstützt diese bei der Ankunft und dem Einleben in die Aufnahmegesellschaft. Die Anerkennungskultur richtet sich im Unterschied an die bereits länger ansässigen Zuwanderer und zielt auf die Wertschätzung ihrer bisherigen Leistungen. Die Schaffung einer Willkommens- und Anerkennungskultur zielt insgesamt auf Toleranz und Respekt gegenüber Menschen mit anderen kulturellen Wurzeln und steht in engem Zusammenhang mit Fragen der interkulturellen Öffnung.

Einzelne Elemente einer Willkommens- und Anerkennungskultur sind in fast allen beteiligten Projektkommunen vorhanden bzw. werden entwickelt. Das Spektrum reicht von Neubürgerempfängen beim Bürgermeister, über mehrsprachige Info-Flyer zu kommunalen Angeboten, von den Kommunen selbst organisierten Sprach- und Förderkursen bis zur Einsetzung von ehrenamtlichen Integrationslotsen und Patenschaftsprogrammen.

Über weitergehende Maßnahmen und Strategien finden in einigen Projektkommunen mit Unterstützung des Forschungsinstituts DESI derzeit Verständigungsprozesse gemeinsam mit Akteuren der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft statt. Dabei wird die Schaffung einer zentralen Servicestelle für Zuwanderer aufgrund mangelnder Ressourcen eher zurückhaltend bewertet. In diesem Zusammenhang wäre die Rolle der Ausländerbehörden zu prüfen, sie ist erste Anlaufstelle für die Zuwanderer und damit erster Zugang zum Aufnahmeland. Die interkulturelle Öffnung der Ausländerbehörde wäre ein wichtiger Baustein zur Schaffung einer Willkommens- und Anerkennungskultur. Hierfür müsste die Behörde ein neues Selbstverständnis als Dienstleister und Servicestelle entwickeln, was die Abkehr von einer rein ordnungsrechtlichen- und sicherheitspolitischen Sicht bedeutet und nicht einfach ist. In einem Modellprojekt des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wird derzeit geprüft, ob und wie Ausländerbehörden zu Willkommensbehörden entwickelt werden können. 

Fazit

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass auch die Kommunen des ländlichen Raums eine aktive Integrationspolitik anstreben und darin eine Entwicklungschance sehen. Integration als kommunales Handlungsfeld ist maßgeblich davon abhängig, dass Verwaltungsspitze und kommunale Politik Integration zu ihrer Sache machen und diese als Zukunftsaufgabe anerkennen. Der Fachkräftemangel ermöglicht zudem die Öffnung des Themas in die kommunale Wirtschaft. In einer engen Zusammenarbeit zwischen Stadt und lokalen Unternehmen im Themenfeld Integration, die in den meisten Kommunen bisher erst in Ansätzen vorhanden ist, liegen bisher verborgene Ressourcen und Entwicklungspotenziale. Bespielhaft genannt seien hier gemeinsame Fachkräfteinitiativen.

Den vielfachen Herausforderungen, denen sich kleine Städte des ländlichen Raums aufgrund des demografischen und strukturellen Wandels gegenübersehen, sind sie mit den geringen personellen und materiellen Ressourcen nur bedingt gewachsen. Um hier Entlastung und Unterstützung zu leisten, erscheint eine Bündelung von Know-How und Unterstützungsangeboten auf Landkreisebene wichtig. Die Landkreise könnten Hilfestellung geben bei der Beantragung von Projekten, Qualifikationsangebote für die Akteure der Integrationsarbeit bereithalten und die Kommunen bei der interkulturellen Öffnung ihrer Institutionen beratend begleiten. Voraussetzung ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Landkreisen und Gemeinden, die jedoch nicht immer reibungsfrei verläuft.

Einen großen Einfluss auf die Ausgestaltung kommunaler Integrationspolitik haben das integrationspolitische Selbstverständnis der übergeordneten politischen Ebenen (Land und Bund) und die Bereitschaft, den Kommunen Mittel und Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Hervorzuheben ist das KOMM-IN-Programm des Landes Nordrhein-Westfalen zur Förderung einer strategischen Ausrichtung der kommunalen Integrationsarbeit, das in den letzten Jahren auch in den Kommunen des ländlichen Raums wichtige Impulse für den Aufbau kommunaler Integrationsstrukturen gesetzt hat. Dieses Programm wurde ab 2012 in das „Gesetz zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration in Nordrhein-Westfalen“ überführt, in dessen Rahmen der Aufbau von „Kommunalen Integrationszentren“ auf Landkreisebene durch die Übernahme von Personalkosten unterstützt wird. Andere Bundesländer, wie Hessen, Niedersachsen und Baden-Württemberg, bieten mittlerweile vergleichbare Programme für die Kommunen an.

Die Autorinnen: Gudrun Kirchhoff ist Diplom-Soziologin und seit 2006 Wissenschaftliche Referentin der Schader-Stiftung. Claudia Bolte, Dipl.-Ing. Raum- und Umweltplanung, ist seit 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Schader-Stiftung.



Informationen zu den Projekten unter www.integrationspotenziale.de

Literatur

Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2010): Bildung in Deutschland 2010, www.bildungsbericht.de/daten2010/bb_2010.pdf (08/2013), S. 22-23.

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2013): Pressemeldung - Start des Modellprojekts "Ausländerbehörden – Willkommensbehörden" in zehn Bundesländern – vom 11.10.2013. www.bamf.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2013/20131011-0029-presse

imap GmbH Institut für interkulturelle Management und Politikberatung (2013): Forschungs-Praxis-Projekt: Integrationspotenziale ländlicher Regionen im Strukturwandel. Zwischenbericht. Unveröffentlichter Arbeitsbericht 2013

Kriehn, Claudia (2011): Erwerbstätigkeit in den ländlichen Landkreisen in Deutschland 1995 bis 2008. Institut für ländliche Räume, Johann-Heinrich von Thünen-Institut. Braunschweig 2011

Schader-Stiftung (Hrsg. 2011): Integrationspotenziale in kleinen Städten und Landkreisen. Ergebnisse des Forschungs-Praxis-Projekts. Darmstadt 2011

Schader-Stiftung (Hrsg. 2013): Potenzialbericht. Erste Ergebnisse der Erhebungen von Ort. Forschungs-Praxis-Projekt: Integrationspotenziale ländlicher Regionen im Strukturwandel. Bearbeitung: Dr. Frank Gesemann / Dr. Jutta Aumüller, DESI – Institut für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration. Darmstadt 2013

Schader-Stiftung (2013): Willkommenskultur als Strategie zur Gewinnung von Fachkräften – sind wir bereit für mehr Zuwanderung? Expertenworkshop: Fachkräftemangel und Fachkräftesicherung in ländlichen Regionen. Dokumentation. Darmstadt 2013

Statistisches Bundesamt (2011): Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ergebnisse des Mikrozensus 2010. Wiesbaden 2011



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