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Architektur für Wohnprojekte - Wohngruppen als Auftraggeber

Artikel vom 12.11.2013

„Der Architekt, die Architektin plant und baut nicht für die zukünftigen Bewohner, sondern mit ihnen“, so eine Planerin. Diese Arbeit fordert erfahrungsgemäß viel Engagement und erheblichen Zeitaufwand. Und doch beschreiben Architekten, bei aller Mühe, das Verfahren der Bewohnerbeteiligung als außerordentlich lohnend. Mit welchen besonderen Arbeitsbedingungen und Herausforderungen ist dabei im Einzelnen zu rechnen?

Welche besonderen Anforderungen stellt die Zusammenarbeit mit Wohnprojektgruppen an Architekten?

„Der Architekt plant und baut nicht für die zukünftigen Bewohner, sondern mit ihnen“, bringt eine Planerin auf den Punkt, was Selbstbestimmung beim Entstehen eines gemeinschaftlichen Wohnprojekts im Kern ausmacht: Die zukünftigen Bewohner sind in den Planungsprozess partizipativ eingebunden. Ebenso wie gemeinschaftliche Wohnprojekte entstehen Vorhaben von Baugemeinschaften in einem partizipativen Planungsprozess. Deshalb lassen sich Erfahrungen aus der Zuasammenmarbeit zwischen „Wohnprojektlern“ und Architektin oder Architekt auch auf die Arbeitsbeziehung zwischen Bauherrengruppe und Architekt übertragen.

Wie Praxisberichte zeigen, erfordert diese Arbeit ein sehr hohes Maß an Engagement und erheblichen Zeitaufwand. Um nicht in die Gefahr der Selbstausbeutung zu geraten, müssen die Spielregeln zwischen Architekt und Wohngruppe zu einem möglichst frühen Termin geklärt werden. Die Arbeit des Architekten hat einen messbaren Wert. Zum Nulltarif ist sie von Anfang an, auch während der Projekt- und Planungsvorbereitungen, nicht zu haben. 

Und doch beschreiben Architekten, bei aller Mühe, das Verfahren der Bewohnerbeteiligung als besonders lohnend. Ein gelingender Planungsprozess kann den zukünftigen Bewohnern neue Gedanken- und Lebenswelten erschließen. Dafür sollten Architekten sich Zeit nehmen. Visionen nicht vorschnell aufzugeben, raten wohnprojekterfahrene Planer. Denn im Verlauf der Zusammenarbeit entwickeln die Wohngruppen ihre Ausgangsideen erfahrungsgemäß zu umsetzbaren Lösungen weiter. Mit welchen besonderen Arbeitsbedingungen und Herausforderungen ist dabei im Einzelnen zu rechnen?

Planungsprozess mit einer selbstorganisierten Wohnprojektgruppe

Gemeinschaftliche Wohnprojekte werden auf Initiative von Menschen ins Leben gerufen, die ihr eigenes Wohnumfeld selbstbestimmt gestalten wollen. Die Fülle an Aufgaben und Problemen, die auf eine Wohnprojektgruppe zukommt, wäre nicht zu bewältigen, wenn die Beteiligten nicht mit Entschlossenheit und Energie ihr Vorhaben in Angriff nehmen und durchstehen würden. Andererseits kann der Elan der Initiatoren für Außenstehende irritierend sein. Wer sich in einer solchen Situation vor Augen führt, was diese Gruppen leisten, lange bevor sie in ihr Projekt einziehen können, dem wird es leichter fallen, Verständnis dafür aufzubringen.

Gerade zu Beginn eines partizipativen Planungsprozesses sollten Architekten Wert darauf legen, dass verbindliche Absprachen für die Organisation der Zusammenarbeit aufgestellt und eingehalten werden.

Vielleicht sieht der Start so aus: Ein kleiner Kreis engagierter, von ihrem Vorhaben begeisterter Wohnprojektinteressenten kommt auf den Architekten zu und bittet um erste Gestaltungsvorschläge. Gab es zu diesem Zeitpunkt bereits gruppenintern eine Abstimmung zu elementaren Fragen des Vorhabens? Denn bevor der Planer seine Arbeit aufnimmt, sollte die Kerngruppe sich über ihre grundlegenden Vorstellungen und Wünsche verständigt haben:  

  • Sehen die Initiatoren sich als familienorientiertes Projekt, als Wohnvorhaben für Ältere oder soll sich die Bewohnergruppe generationenverbindend aus Älteren und Jüngeren zusammensetzen?
  • Stellen sie sich einen Neubau vor? Kommt der Umbau eines Bestandsobjekts in Frage?
  • Welche Vorstellungen hat die Initiativgruppe in Bezug auf Projektgröße und die Anzahl zukünftiger Mitbewohner? Eine vorgegebene Mindest- oder Maximalgröße für Wohnprojekte besteht dabei nicht. Von der umgestalteten Hofreite mit abgeschlossenen Wohnungen für einen kleinen Bewohnerkreis bis zum „Dorf in der Stadt“ mit über 140 Wohneinheiten reicht die Spannweite bislang realisierter Projekte.
  • Wie wichtig ist eine barrierefreie oder barrierereduzierte Gestaltung?
  • Soll es eine Festlegung auf innerstädtisches oder innenstadtnahes Wohnen geben? Möchte die Gruppe an der Peripherie oder in einer ländlichen Region leben?
  • Welchen Stellenwert wird zum einen kostengünstiges, zum andern energieeffizientes bzw. ökologisches Bauen oder Umbauen einnehmen?
  • Welche Bedeutung messen die zukünftigen Bewohner gemeinschaftsorientierten Strukturen des Zusammenlebens bei? Wünscht sich die Gruppe gemeinschaftlich genutzte Räume, Einrichtungen und Freiflächen?
  • Wie sehen die Vorüberlegungen zum Raumprogramm aus? Sind individuelle Grundrisse sowie unterschiedliche Wohnungsgrößen geplant? Ist es sinnvoll, die Innenausstattung frei wählbar zu gestalten oder einigen sich die Gruppenmitglieder aus Kostengründen auf einheitliche Standards, vielleicht mit einem Minimum an Variationsmöglichkeiten?
  • Sieht das Wohnkonzept Formen des Zusammenwohnens vor, die eine Weiterentwicklung der gängigen Wohnungstypologie oder neue Lösungen für die Funktionen Wohnen und Arbeiten erfordern?

Erst auf der Basis dieser möglichst präzisen Vorüberlegungen ist es aus der Sicht des Architekten sinnvoll, die Projekt- und Planungsvorbereitungen zu starten.

Für die Projektinteressierten wiederum kann die Herausforderung recht hoch sein, diese Festlegungen zu einem Zeitpunkt treffen zu müssen, an dem sie noch damit beschäftigt sind, Arbeitsmodus und Wohnkonzept zu entwickeln, also sich als Gruppe zu festigen. Deshalb sollte die Wohninitiative sich intern bereits Regeln über das Zustandekommen von Entscheidungen und die Vertretung nach außen gegeben haben, ehe sie auf einen Architekten zukommt.

 Viele Gruppen nehmen professionelle Unterstützung durch Fachberater, Moderatoren oder Projektentwickler in Anspruch und arbeiten mit deren Unterstützung sehr strukturiert. Ist das nicht der Fall und vermittelt die Gruppe den Eindruck, eine solche fachliche Begleitung wäre von Vorteil, sollte der Architekt dies deutlich kommunizieren. Wie sich immer wieder bestätigt, profitieren im Endeffekt alle Beteiligten durch professionelle Anleitung von dritter Seite.

Die Art und Weise, wie eine selbstorganisierte Gruppe diese Vorarbeiten erledigt, lässt auf ihre Kooperations- und Lernbereitschaft und ihre Zuverlässigkeit schließen. Bildet sich kein gegenseitiges Vertrauensverhältnis, sollte der Architekt den Auftrag ablehnen.

Aufgabenspektrum des Architekten

Ob und in welchem Umfang ein Architekt neben der planerischen Arbeit mit der Wohngruppe weitere Aufgaben übernimmt, hängt vom Einzelfall ab. Architekturbüros, die auch Projektsteuerung anbieten, unterstützen die Gruppe bei Fragen wie etwa der Grundstücks- oder Objektsuche und der Entwicklung eines Wohn- und Finanzierungkonzepts. Büros, die sich auf die Zusammenarbeit mit Gruppen spezialisiert haben, sind teilweise noch intensiver in den gesamten Entstehungsprozess eines Wohnprojekts eingebunden. Sie moderieren und begleiten die Entwicklung umfassend, und das möglicherweise vom ersten Beginn an.

Auch wenn sich Wohngruppen zusätzliche professionelle Unterstützung durch Fachberater, Moderatoren oder Projektentwickler suchen, sind viele Varianten der Aufgabenteilung denkbar. Ein Moderator nimmt an den Arbeitstreffen mit dem Architekten teil. Ist ein Projektentwickler eingebunden, kann hingegen das Arbeitsprogramm der Gruppe aufgeteilt und ggf. parallel absolviert werden: Mit dem Architekten bespricht die Gruppe die Gestaltung und Platzierung der Wohnungsgrundrisse und Gemeinschaftsflächen. Der Projektentwickler oder Fachberater ist für Themen wie Aufbau von Selbstverwaltungsstrukturen oder die Auswahl der geeigneten Rechtsform zuständig.

Wechsel bei den Mitgliedern der Wohnprojektgruppe

Gar nicht selten erhält ein Architekt den Auftrag, die Vorplanung für ein gemeinschaftliches Wohnprojekt zu erarbeiten, der Kreis der Mitwirkenden – und damit deren Wünsche und Vorstellungen – steht aber noch nicht endgültig fest: 

  • Eine Wohnprojektinitiative hat ein Grundstück oder ein Bestandsobjekt in Aussicht, aber es werden noch weitere Mitwirkende gesucht. Jeder neue Interessent kann grundsätzlich über die Gestaltung seiner eigenen Wohnung und die der gemeinsam genutzten Flächen mitentscheiden. Das ist Teil des Selbstverständnisses selbstbestimmten gemeinschaftlichen Wohnens.
  • Die Wohngruppe ist vollzählig, aber einzelne Beteiligte entscheiden sich gegen das Vorhaben, sei es aus privaten Gründen, sei es infolge von Konflikten mit der Restgruppe oder Unzufriedenheit mit dem mehrheitlich beschlossenen Wohnkonzept. Wer als „Ersatz“ eintritt, steigt auch in den Planungsprozess ein.

Andererseits sollten planerische Festlegungen, die Architekt und Gruppe bereits ausführlich erörtert haben, nicht bei jeder Veränderung im Teilnehmerkreis wieder auf dem Beratungstisch landen. Das kann durch eine entsprechende Vereinbarung mit den später Dazukommenden vermieden werden.

Übrigens sind Wechsel unter den Beteiligten nicht per se von Nachteil: Sie tragen zur Stabilität der Wohngruppe bei, denn nur diejenigen ziehen schließlich in das Wohnprojekt ein, die sich mit den Vorstellungen der Gruppe und ihrem Wohnkonzept identifizieren können.

Für den Architekt ist mit personellen Verschiebungen kein wirtschaftliches Risiko verbunden. Hat sich die Gruppe noch nicht für eine Rechtsform entschieden, bilden die Mitglieder der Initiativgruppe ohne weiteres Zutun eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Sie zahlen zur Finanzierung der ersten Planungsschritte anteilig in eine Gemeinschaftskasse ein. Daraus werden die bis dahin erbrachten Leistungen des Architekten auch dann honoriert, wenn einzelne Mitglieder die Gruppe verlassen oder das Vorhaben insgesamt nicht zustande kommt.

Hoher Stellenwert sozialer Kompetenz

„Sollen Architekten etwa Psychologie-Seminare besuchen, um die gruppendynamischen Prozesse in Wohnprojektgruppen bewältigen zu können?“ Das wohl nicht, aber kommunikative Fähigkeiten sind im Architekturberuf ohnehin für den Umgang mit jedem Auftraggeber gefragt: Stärken in Verhandlungsführung, Rhetorik, Moderation und Konfliktmanagement zu entwickeln und mithilfe von Fortbildung auszubauen ist ein Rat aus der Praxis. Umso mehr gilt dies für partizipative Formen der Planung und Gestaltung gemeinsam mit Wohnprojektgruppen, die ohne Teamorientierung und kooperative Grundhaltung undenkbar sind. Der Planer muss bereit und darauf vorbereitet sein, sich in die Dynamik eines Gruppenprozesses zu begeben und dort seine Rolle zu finden. Nach der Einschätzung gruppenerfahrener Architekten braucht es „Willen und Talent zum menschlich klugen Umgang mit den Bauherren“ und ein „ausgeprägtes Händchen für das rechte Maß an sozialer Wärme“ (Roland Stimpel, S. 10).

Doch beide Partner, Architekt und Gruppe, prägen die Arbeitsatmosphäre. Auf Seiten der Wohnprojektinitiative unterstützt eine positive und produktive Einstellung das partizipative Planen. Intensive Auseinandersetzungen zu offenen Fragen sind gerechtfertigt, solange das gemeinsame Ziel nicht aus dem Blick gerät.

Im Rahmen eines Dialogprozesses ein tragfähiges und von allen getragenes architektonisches Konzept zu entwickeln, setzt auf beiden Seiten die Bereitschaft voraus, dazuzulernen und Kompromisse einzugehen. Diese Form der Zusammenarbeit erfordert wechselseitige Achtsamkeit und Verständnis für die Position des Anderen.

Anwendung partizipativer Planungsmethoden

Moderationstechniken und Methoden zur Gestaltung von Beteiligungsprozessen unterstützen die dialogische Vorgehensweise. Mit ihrer Hilfe bildet sich ein produktives Arbeitsklima heraus, das auch konfliktträchtige Phasen übersteht. Darüber hinaus strukturieren und beschleunigen diese Verfahren das Zustandekommen von Entscheidungen.

Die methodische Vielfalt der Beteiligungsverfahren ist groß. Ob Planungswerkstatt oder Entwurfsworkshop: Fachleute raten davon ab, mit einer gewissen Beliebigkeit die eine oder andere Methode „auszuprobieren“. Es braucht Qualifikation und Erfahrung, um in einer bestimmten Konstellation die Methode auszuwählen, die zur anstehenden Aufgabe und zur Gruppe passt.

Architekturbüros mit dem Schwerpunkt Gruppenprojekte organisieren den Beteiligungsprozess in eigener Regie. In anderen Fällen wird empfohlen, die methodischen Aufgaben im Rahmen partizipativer Planung in die Hände von Moderatoren oder Wohnprojektbegleitern zu legen.

Wer als Architekt in dieses Tätigkeitsfeld neu einsteigt und über „wohnprojekterfahrene“ Unterstützung verfügt, sollte einfach die Bereitschaft mitbringen, sich auf das Gruppenplanungsverfahren einzulassen.

Umgang mit Gruppendynamik und Konflikten

Die Vorstellung, eine mehr oder weniger bunt zusammengewürfelte Gruppe von Individuen plane so etwas Anspruchsvolles wie ein gemeinschaftliches Wohnprojekt, ruft bei Außenstehenden bemerkenswert häufig das Bild einer in endlose Auseinandersetzungen verstrickten Runde hervor, die noch dazu von besonders schwierigen, streitsüchtigen  Menschen dominiert wird. Eine solche zum Kompromiss unfähige Wohnprojektinitiative bestünde nicht lange.

Auf der anderen Seite wäre die Vorstellung naiv, partizipatives Planen ließe sich in Dauerharmonie, ohne Konflikte oder auch persönliche Reibereien bewältigen. Es wird Unstimmigkeiten und festgefahrene Situationen geben. Oder wie ein Architekt das unvermeidliche Auftauchen eines „Querkopfs oder Außenseiters“ in der Arbeit mit Baugruppen beschreibt: „…wenn dieser eine nicht da wäre, dann würde der Platz wahrscheinlich von einem anderen besetzt.“ Doch die zur Kooperation Unfähigen verlassen ebenso zuverlässig die Gruppe bereits in der Anfangsphase wieder. Scheitern wird ein Projekt daran nicht (Roland Stimpel, S. 10, 14).

Auch wenn Architekten ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten mitbringen oder sich im Rahmen einer Fortbildung angeeignet haben, muss die Gruppe manche Konflikte unter sich klären. Gruppeninterne Angelegenheiten gehören per se nicht in die Arbeitstreffen mit dem Planer. Davor schützen in erster Linie verbindliche Vertretungsregeln: Abgeordnete der Gruppe sind für den Kontakt zum Architekturbüro zuständig und tragen die Informationen hin und her. Alternativ können Wohnprojektberater oder -begleiter, die im Umgang mit gruppendynamischen Prozessen geschult sind, genau diese Dinge von den Architekten abfedern. Sie vermitteln zwischen Gruppe und Architekt und entlasten den Architekten von derartigen zusätzlichen Aufgaben.

In bestimmten Stadien des Planungsprozesses kann es wiederum hilfreich sein, die gesamte Gruppe einzubeziehen, zum Beispiel um im Rahmen eines Workshops über die Zuordnung der Wohnungen an die einzelnen Bewohner zu entscheiden.

Über die Existenz dieser Wohnprojekt-Fachleute und ihre Arbeitsbereiche Bescheid zu wissen und den Zeitpunkt zu erkennen, an dem der Planungsprozess professioneller Begleitung bedarf, trägt zu Zeitersparnis und konstruktivem Fortgang des Verfahrens bei. Die eigentliche Schwierigkeit kann darin liegen, einer Gruppe zu vermitteln, dass die zusätzlichen Ausgaben für fachlich versierte Begleitung sich letzten Endes auszahlen.

Was an diesem Punkt nicht aus dem Blick geraten sollte: Nicht nur für Architekten, sondern auch für die Gruppen stellt das partizipative Planen und Gestalten eine Herausforderung dar. Alle Beteiligten durchlaufen einen intensiven Lernprozess, den dieser Diskussionsbeitrag anschaulich und mit feiner Ironie beschreibt:

„Die Bewohner werden aus dem ‚Steinbruch des Lebens‘ in ein Projekt verschlagen und kommen als ‚Kieselsteine‘ wieder heraus. Profilneurotiker gehen unterwegs verloren. Zwei bis drei Jahre Vorbereitungsphase, das Durchstehen der Bauphase, sich dann als Hausgemeinschaft konstituieren – bis dahin haben alle so viele Kompromisse und Erfahrungen im sich Abstimmen gemacht, da funktioniert manches schon ganz gut.“

Integrativer Planungsprozess mit weiteren Beteiligten

Abhängig von der konzeptionellen Ausrichtung und der Trägerschaft des gemeinschaftlichen Vorhabens sind weitere Beteiligte, die selbst nicht in das Wohnprojekt einziehen werden, in den Planungsprozess mit eingebunden. Einschließlich der wohnprojektspezifischen Begleiter kann sich ein regelrechtes Projektnetzwerk herausbilden.

Falls Unternehmen der Wohnungswirtschaft, soziale Träger oder Stiftungen als Finanzier und Vermieter von Wohnprojekten auftreten, sitzen ihre Vertreter mit am Planungstisch. Wie intensiv sich der Träger eines solchen Mietwohnprojekts in den eigentlichen Gruppenprozess einklinkt, hängt vom Einzelfall ab. In manchen Projekten organisiert die Gruppe selbstbestimmt ihre internen Abläufe. Andere Vorhaben werden intensiver durch den Träger begleitet, der beispielsweise eine Fachkraft bereitstellt, um die Gruppe bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen.

Ein Teil der Wohnprojektgruppen sieht in ihrem Konzept Angebote vor, die über das Zusam­menwohnen und die gegenseitige Unterstützung hinausgehen. Deren organisatorische Umsetzung kann recht anspruchsvoll und kompliziert sein. Beratende Institutionen oder Träger sozialer Dienste werden hinzugezogen, um im Rahmen des integrativen Planungsprozesses ihre Spezialkenntnisse einbringen:

  • Wohnprojektgruppen, die eine ambulant betreute Pflegewohnung in ihr Vorhaben integrieren möchten, brauchen den Rat fachkundiger Partner. So könnte eine kommunale Wohnberatungsstelle in Fragen der altersgerechten barrierefreien Gestaltung des Vorhabens beratend mitwirken. Soll eine Wohngemeinschaft für demente Menschen Teil des Wohnprojekts werden, sind Pflege- und Betreuungsanbieter oder Pflegewissenschaftler geeignete Ansprechpartner.
  • Fachwissen Dritter kann erforderlich sein, wenn Gemeinschaftsräume oder gemeinschaftliche Einrichtungen so gestaltet werden sollen, dass auch externe Nutzer die Räume anmieten und dort Kurse oder Veranstaltungen abhalten können.
  • Manche Gruppen planen, Angebote für die Bewohner des benachbarten Quartiers wie zum Beispiel Nachbarschaftscafé oder Hausaufgabenhilfe im Wohnprojekt anzusiedeln.

Soziale Dienste oder Initiativgruppen aus dem Stadtviertel können in beratender Funktion oder als Träger des Angebots an der Planung mitwirken.

Der Faktor Zeit

Die Planung eines Gruppenprojekts erfordert vergleichsweise viel Geduld und mehr Zeit als die Arbeit mit einzelnen Auftraggebern. Eines der Merkmale gemeinschaftsorientierten Wohnens ist, dass sich die zukünftigen Bewohner selbstorganisiert zu einer Gruppe formen und ein gemeinsames Konzept ihres Zusammenlebens entwickeln. Für diese Gruppenfindung muss ausreichend Zeit zur Verfügung stehen, damit sich eine stabile Bewohnerschaft herausbilden kann. Teilweise sind die Gruppen noch nicht vollzählig, aber die Vorstellungen der Initiativ-gruppe können so weit gediehen sein, dass die Zusammenarbeit mit dem Architekten beginnen kann.

Welche weiteren Faktoren beeinflussen die zeitlichen Abläufe?

  • Gruppengröße und Arbeitsweise: Das Tempo des Planungsprozesses wird nicht allein durch die Zahl der Teilnehmer bestimmt. Wie die Praxis zeigt, kann in sehr großen Gruppen das Interesse, sich an der Planung zu beteiligen, weniger ausgeprägt sein. Davon abgesehen spielt der Arbeitsstil der Gruppe die eigentliche Rolle: Eine große Projektgruppe arbeitet vielleicht allein deshalb forcierter, weil sie unter guter Anleitung sehr zielgerichtet berät und beschließt. Währenddessen tendiert eine überschaubare, dabei auf sich selbst gestellte Gruppe unter Umständen dazu, Themen immer wieder neu anzugehen, bevor sie schließlich tragfähige Entscheidungen trifft.
  • Wechsel der Gruppenzusammensetzung:  Neu dazukommende Interessenten brauchen Informationen über die bisherigen Planungen und Beschlüsse der Initiativgruppe. Wenn ihre Vorstellungen davon abweichen, ist es in einem partizipativen Verfahren ihr gutes Recht, Gehör zu finden und Entscheidungen mit beeinflussen zu können. Anders sieht es aus, wenn eine Gruppe intern und mit neuen Gruppenmitgliedern vereinbart, dass alle oder grundlegende Entscheidungen, die bereits getroffen wurden, nicht mehr aufgerollt werden.
  • Grundstücks- oder Objektsuche: Die häufig beklagte Langwierigkeit von der Idee bis zur Realisierung eines gemeinschaftlichen Wohnprojekts hat ihre Ursache oft in der Schwierigkeit, ein passendes Grundstück oder Bestandsobjekt zu finden. Diesen Faktor müssen die beteiligten Architekten ebenfalls einkalkulieren. Immer wieder kommt es vor, dass Wohninitiativen als relativ festgefügte Gruppe bereit wären, einen Neubau oder einen Umbau im Bestand in Auftrag zu geben – aber es findet sich auch nach Jahren kein geeignetes bezahlbares Grundstück oder Objekt.

Die Ursache liegt teilweise im begrenzten finanziellen Spielraum der Wohngruppen begründet. Besonders problematisch ist die Situation in wachsenden Kommunen mit engem Wohnungsmarkt. Manche Initiativen sind fast am Ziel. Doch mit ihrem Kaufangebot treten sie oft in Konkurrenz zu starken Mitbewerbern, die schneller sind oder mehr bieten. Wenn die Wohninitiative dann nicht zum Zug kommt, verschiebt sich das Projekt weiter in die Zukunft. Wurde ein Architekt bereits mit Vorplanungen beauftragt, liegt das Konzept zunächst wieder auf Eis.

Den Entstehungsprozess von Wohnprojekten können Kommunen durch die Gestaltung ihrer Vergabeverfahren günstig beeinflussen. Die Vergabe einer Grundstücksoption versetzt eine noch im Entstehen begriffene Wohngruppe in die Lage, zwar innerhalb einer festgelegten Frist, aber doch ohne unmittelbaren Entscheidungsdruck weitere Interessenten für das Vorhaben zu finden und ein tragfähiges Wohnkonzept zu erarbeiten. Wie Erfahrungen aus der Praxis zeigen, ist allerdings eine Planungsoption von einem Jahr oder weniger selbst dann, wenn die Gruppe mit professioneller Unterstützung arbeitet, wohl zu knapp bemessen.

Ansprüche der Gruppe an Gestaltung und Ausstattung

Wohngruppen nehmen sich für ihr Projekt oft viel vor. Ein typisches Gebäudekonzept kann sowohl eine energetisch effiziente, ökologische als auch barrierefreie oder -reduzierte Bauweise vorsehen. Vielleicht sind Gewerbeflächen, Werkstätten oder Heimarbeitsplätze in das Vorhaben zu integrieren. Die einzelnen Wohnungen sollen auf die individuellen Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner abgestimmt sein, aber flexibel genug, damit sie sich im Fall ihres Auszugs auch für Nachfolger eignen.

Der finanzielle Spielraum der Beteiligten kann sehr unterschiedlich sein. Manche wollen deutlich mehr in die Ausstattung ihrer Wohnung investieren. Falls alle oder einige der Wohnungen öffentlich gefördert werden sollen, sind die Vorgaben des jeweiligen Förderprogramms hinsichtlich Wohnungsgröße und Angemessenheit der Kosten einzuhalten. Ausgaben für Gemeinschafts- und Freiflächen werden in der Regel von allen anteilig übernommen bzw. auf die Miete umgelegt, was den Investitionsspielraum wiederum beschränken kann. 

Nach Möglichkeit soll ein ästhetisch ansprechend und gemeinschaftsfördernd gestaltetes und dabei kostengünstiges Bauwerk entstehen. Um diesen Spagat zu bewältigen, ist es hilfreich, wenn ein Architekt bereits über Erfahrung im Wohnungsbau verfügt. Ob Berufseinsteiger als Erstlingswerk ein gruppenorientiertes Vorhaben produzieren sollten, kann nicht pauschal beantwortet werden. In diesem Fall wäre es ganz besonders wichtig, einen erfahrenen Wohnprojektbegleiter mit an Bord zu holen.


Literatur und Links

Gemeinschaftliche Wohnprojekte und Baugemeinschaften

1.
Kirsten Mensch, Gemeinschaftliches Wohnen – der Versuch einer Definition
in: wohnbund-informationen 1/2011, Perspektiven für Wohnprojekte,
S. 8-11, mit vielen weiteren Beiträgen zur Entwicklung von Wohnprojekten
Möglichkeit zum Download als PDF-Datei:
www.wohnbund.de (> Publikationen)

2.
Gruppen. Gemeinschaftlicher Bauherr
Themenschwerpunkt in: Deutsches Architektenblatt 11/11
u.a.: Michael Sudahl, Schwäbischer Gruppenfleiß, S. 18-21
Nirgendwo bauen so viele Gruppen wie in Tübingen.
www.dabonline.de/2011-11/schwabischer-gruppenfleis

3.
Wohnen in eigener Regie
Themenschwerpunkt in: archplus 176/177, S. S. 88-105
u.a.: Simone Kläser, Selbstorganisiertes Wohnen, S. 90-99

4.
Kompetenzzentrum „Kostengünstig qualitätsbewusst Bauen“
im Bundesinstitut für Bau-. Stadt- und Raumforschung (BBSR), Baugemeinschaften. Bauen und Wohnen in der Gemeinschaft, 2009. Möglichkeit zum Bezug:
www.bbsr.bund.de/nn_993144/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/BMVBS/Abgeschlosssen/KostenguenstigQualitaetsbewusstBauen/fachberichte.html


Anforderungen an Architekten

1.
Ulla Schauber und Ulrike Jurrack
Architektur, Wohnungsplanung, Bauliche Anforderungen
u.a.: Besonderheiten beim Planen und Bauen von Gemeinschaftswohnprojekten, Besondere Kompetenzen bei der Planung und Projektbegleitung,
Kompetenznetzwerk Wohnen, Wissenspool 11.4.-11.6.
www.kompetenznetzwerk-wohnen.de (> Wissenspool > Planen und Bauen)   
 
2.
Roland Stimpel, Die Gruppen-Gruppe,
in: Deutsches Architektenblatt 11/11, S. 10-14
Wann ist man als Architekt fit für die Arbeit mit Baugemeinschaften?
www.dabonline.de/2011-11/die-gruppen-gruppe

3.
Paola Carega, Bauherr und Architekt sind wie Hase und Igel
Interview mit dem Architekturpsychologen Riklef Rambow
in: wohnbund-informationen I + II/2010, Ästhetische Nachhaltigkeit,
S. 51-53, sowie zahlreiche weitere Beiträge zur Baukultur und Architektur gemeinschaftlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus
Möglichkeit zum Download als PDF-Datei:
www.wohnbund.de  (> Publikationen)  

4.
Architektenkammer Nordrhein-Westfalen
Praxishinweis: Gemeinschaftsorientiertes Wohnen als Tätigkeitsfeld
Möglichkeit zum Download als PDF-Datei:
www.aknw.de/aktuell/sonderthemen/gemeinschaftsorientiertes-wohnen

5.
Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, Ministerium für Bauen und Verkehr
Fachtagung „Miteinander Bauen und Wohnen: Neuen Chancen – neue Wege“, 2009
Möglichkeit zum Download der Vortragsfolien:
www.aknw.de/aktuell/architekten-in-nrw/architekten-in-ungew-berufsfeldern/detailansicht/artikel/gemeinschaftsorientieres-planen-und-wohnen-neue-chancen-neue-wege

5.1.
Birgit Pohlman, Volker Giese, Norbert Post
Wohnprojekte in Serie. W.I.R. machen es vor, u.a.:
Aufgabenverständnis des Architekten, S. 17-22, WIR planen mit, S. 23-29
www.aknw.de/fileadmin/user_upload/News-Pdfs/import/1243340880-4342866.pdf

5.2.
Ursula Komes
Architekten in neuen Rollen: Herausforderung oder Überforderung?
www.aknw.de/fileadmin/user_upload/News-Pdfs/import/1243340952-7048569.pdf


Partizipativer Planungsprozess

1.
Ulla Schauber und Ulrike Jurrack, Partizipative Planungsverfahren
u.a.: Beispiel Planungswerkstatt  
Kompetenznetzwerk Wohnen, Wissenspool 11.4.3.
www.kompetenznetzwerk-wohnen.de (> Wissenspool > Planen und Bauen)   

2.
Partizipation und nachhaltige Entwicklung in Europa
Informationswebsite des Österreichischen Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Themen u.a.: Bauen. Kooperative Wohn- und Lebensformen
www.partizipation.at/themen.html

3.
Praxis Bürgerbeteiligung. Ein Methodenhandbuch
Hrsg.: Astrid Ley, Ludwig Weitz. Stiftung Mitarbeit 2004
(Darstellung zahlreicher methodischer Ansätze zur Gestaltung von Beteiligungsprozessen)
www.mitarbeit.de (> Publikationen > Arbeitshilfen für Selbsthilfe- und Bürgerinitiativen )


Qualifikation durch Fortbildung – Angebote für Architekten

1.
Fortbildungsangebote der Architektenkammern im Bereich Kommunikation und Verhandlungsführung
Internetangebot von vierzehn Architekten-Landeskammern
www.architektenweiterbildung.de  (> Sachgebiet: Kommunikation/ Persönlichkeitstraining)

2.
Wohnprojekte-Portal

2.1.
Bildungsträger für Wohnprojekte
(Hinweise vor allem für Wohnprojektinitiativen, einige der Angebote richten sich an Architekten und andere am Entstehen eines Wohnprojekts beteiligte Berufsgruppen.)
www.wohnprojekte-portal.de/fortbildung.html

2.2.
Veranstaltungen, u.a. Fortbildungsangebote
www.wohnprojekte-portal.de/veranstaltungen.html

3.
Roland Stimpel, Prozesse studieren
in: Deutsches Architektenblatt 11/11, S. 22
www.dabonline.de/2011-11/prozesse-studieren

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