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Grinders

Artikel vom 08.03.2017

Hannes Wiedemann: Aus der Serie GRINDERS 2016, © Hannes Wiedemann

Wer immer sich mit Technologie beschäftigt und mit der Frage, wie diese den Fortgang der Menschheit bestimmen wird, ist gut beraten, sich im Silicon Valley umzusehen. Hier treffen naive Spielereien von Nerds auf die krasseste Ausprägung neoliberaler Ideologie – eine Mischung, die in den letzten Jahren reichlich Erfindungen hervorgebracht hat. Von Hannes Wiedemann

Menschenexperimente am eigenen Körper

Nun, so ist zu hören, kommen die Cyborgs. Allerdings führt diese Fährte ins tiefste kalifornische Hinterland; zu einer persönlichen Begegnung mit einer kleinen Community: den sogenannten Grinders. Der Begriff „Grinder“ ist dem Comic „Doktor Sleepless“ von Warren Ellis entlehnt: In den Spelunken seiner fiktiven Stadt entsteht eine Subkultur, deren Mitglieder sich lustvoll die Körper aufschlitzen, Geräte mit fantastischen Namen einsetzen und ihre persönlichen Grenzen mit allerhand Drogen austesten. Kaum vorstellbar, dass diese Randerscheinung der Ellis’schen Dystopie einem realen Phänomen den Namen leihen soll, dessen Akteuren nichts Geringeres vorschwebt als die Verbesserung des Menschen.

In einer Garage am Rande der Mojave-Wüste findet im Herbst 2015 ein Treffen der realen Szene statt. Angereist aus allen Teilen der Vereinigten Staaten, treffen sich hier Menschen, die sich bisher oft nur unter Pseudonym auf dem board kannten, dem Internetforum, welches das gemeinsam erlangte und geteilte Wissen archiviert. Um Wissensaustausch geht es auch bei diesem Treffen. Viele von ihnen bringen Expertise aus der Soft- und Hardwareentwicklung, aus der Biologie, der Chemie oder aus dem medizinischen Bereich mit. Je nach Vorliebe wechselt ihre Selbstbezeichnung von Grinder über Bodyhacker, Biopunk bis zum Cyborg. Während der in diesem Zusammenhang oft genannte Begriff Transhumanismus eine Denkrichtung bezeichnet, die eine „Weiterentwicklung“ des Menschen durch radikale technologische Eingriffe befürwortet, ist dies hier der Praxistest. Alle, die teilnehmen, sind sich darin einig, dass sie die Grenzen der menschlichen Form herausfordern möchten – durch Experimente am eigenen Körper.

In den vergangenen Jahren brachte diese Community eine ganze Reihe von Erfindungen hervor: Winzige, aber äußerst starke Magnete wurden versiegelt und in die Fingerkuppe eingesetzt. Nach kurzer Zeit der Gewöhnung war es möglich, einen neuen Sinn für Magnetfelder auszuprägen, wie sie uns etwa an manchen Verkehrsampeln, in der Nähe von Elektromotoren oder an Laptops begegnen. Im Jahr 2013 kam der Tüftler Rich Lee auf die Idee, sich solche Magnete am Gehörgang einsetzen zu lassen, eine Kupferdrahtspule um den Hals zu legen und damit gewissenmaßen seine Kopfhörer ins Körperinnere zu verlegen. Kurz darauf ließ sich Tim Cannon ein selbst gebautes Gerät namens Circadia in der Größe eines Smartphones in den Unterarm implantieren, das die Temperatur seines Körpers aufzeichnete und via Bluetooth an ein Smartphone übertrug. Die Schmerzen waren immens, der praktische Nutzen zunächst nicht größer als der eines Fieberthermometers. Zu Testzwecken werden außerdem schon einmal Platinen in den Handrücken eingesetzt, deren Output sich in blinkenden LEDs erschöpft. Welchen Zweck haben diese riskanten Versuche? Hier beteuern alle Entwicklerinnen und Entwickler, dass es darum gehe, das Leben der Menschen zu vereinfachen. Es handle sich noch um Prototypen im Entwicklungsstadium, deren Funktionalität es auszubauen gelte. Dabei kreist die technische Entwicklung seit Jahren um zwei kritische Punkte: die Stromversorgung und die zuverlässige Versiegelung der Bauteile.

Viele Menschen nehmen diese mitunter schmerzhaften Praktiken mit einer Mischung aus Faszination und Ekel zur Kenntnis, die an die frühen Tage der Piercing-Kultur erinnert. Während Ärzte nichtmedizinische Eingriffe in den eigenen Körper gemäß ihrem Berufsethos meist grundsätzlich ablehnen, ist das Reaktionsspektrum seitens der Wissenschaft breiter. Hier kommt es regelmäßig zum Streit über wissenschaftliche Standards. Dass jedoch einige Forscher mit Interesse auf die Grinder-Szene schielen, hat einen besonderen Grund. Hier werden freiwillig Menschenexperimente am eigenen Körper durchgeführt, die in der Forschung aus ethischen Gründen nur mit massivem Aufwand möglich wären.

Emanzipatorisches Potenzial der Technik?

Woher kommt eigentlich ein derartiges tief liegendes Bedürfnis zur Überschreitung der körperlichen Grenzen? Das Spektrum der Antworten reicht vom Bezug auf die eigene spielerische Neugierde bis zur Vision einer nur durch den massiven Einsatz von Technologie ethisch handlungsfähigen, transhumanen Lebensform. Was die Grinder-Community anbelangt, scheint allerdings ein gewisses Selbstbild vorzuherrschen: Erstens seien die meisten Probleme der Menschheit technisch lösbar und zweitens sei Grinding ein subversiver Akt des Hacking. Nicht nur der menschliche Körper werde überlistet, sondern auch die Biologie und die akademische Wissensproduktion. Beide Ideen verbinden sich zu einem starken Glauben an das emanzipatorische Potenzial der Technik. Kritik daran wird gerne als innovationsfeindlich und reaktionär abgetan.

Doch Kritiker fragen zu Recht: Was passiert eigentlich, wenn diese Selbsttechniken kommerzialisiert werden? Die Magnete etwa wurden nach Angaben des Vertriebs dangerous things bereits zu Tausenden verkauft. Ein weiteres Erfolgsprodukt jener Firma sind reiskorngroße RFID- und NFC-Chips. Sie werden zwischen Daumen und Zeigefinger gespritzt. Je nach Anwendung lässt sich damit das eigene Handy entsperren oder das Auto durch Handauflegen starten. In Schweden bietet der ehemalige Unternehmensberater Hannes Sjöblad auf Basis dieser Technologie ganze Unternehmenslösungen an: Die Beschäftigten lassen sich Chips einsetzen, Schließsysteme werden daraufhin umgerüstet.

Wie überall in der IT-Branche verquicken sich hier Hacker-Ethos und neoliberale Figuren. Eigentlich anarchistische Strategien, mit denen das Establishment eben noch geärgert wurde, wandeln sich schnell zur Geschäftsidee. Gerade Kalifornien und das Silicon Valley gelten heute als Sinnbild für die Vernichtung jeglicher Subversion durch die Einbettung des Hacking in eine neoliberale Erfolgslogik. Das spielerische Aushebeln von Machtstrukturen wird auf das nützliche Finden von Lösungen reduziert. Grinders sind derzeit noch Nerds, ihre Technik ist einfach, günstig und meist frei verkäuflich. Doch ihre Vision von der Verbesserung des Menschen ist der radikalliberalen Ideenwelt der Techno-Industrie gewaltig nahe. Wenn die Grenzen des Menschlichen tatsächlich gehackt werden sollen, kann das nur mit einem kritischen Blick nach außen geschehen, auf die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, die uns binden.

Leicht gekürzter Beitrag aus FOG - Documentary Dispersed, Nr. 3, Berlin 2016

Der Autor: Hannes Wiedemann lebt in Berlin. Er studiert Fotografie an der Ostkreuzschule in Berlin und arbeitet an dokumentarischen Langzeitprojekten. Für seine Arbeit „Grinders” beobachtet der Fotograf die Bodyhacking-Szene in den USA, ihre provisorischen Labs und ihre Operationen. Er dokumentiert deren Praktiken, die im Privaten, abseits des wissenschaftlichen und industriellen Betriebs, stattfinden.

Der Beitrag erschien zuerst im Katalog der Ausstellung „Human Upgrade“, die vom 14. Oktober 2016 bis 5. März 2017 in der Galerie der Schader-Stiftung gezeigt wurde.

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