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Die Kunst des Enhancements

Artikel vom 08.03.2017

Susanna Hertrich: Protheses for Instincts 2008 - 2011, © Susanna Hertrich

Der Wertewandel zur Upgradekultur macht es notwendig, sich auf die Thematisierung des Enhancements in der Kunst zu besinnen. Denn die Kunst misst aus und macht erfahrbar, wohin diese Kultur uns treibt. Von Dierk Spreen

Gesellschaft

In die zeitgenössische Individualisierungsgesellschaft ist der Optimierungsimperativ eingelassen. Herausgehoben aus Stand, Klasse und Schicht, emanzipiert von patriarchalen Familienstrukturen und traditionalen Gemeinschaften finden die Menschen sich in einer Gesellschaft wieder, in der natürliche oder soziale Grenzen des Möglichen zunehmend verschiebbar werden. Alles kann anders sein, nichts ist notwendig so, wie es ist. Das gilt inzwischen auch für den leiblichen Körper, der dank des rasanten Fortschritts aller möglichen Formen invasiver oder nicht-invasiver Körpertechnologien veränderbar und damit verbesserbar wird.

Aber wenn alles kontingent erscheint, warum soll man es dann gleich verbessern, upgraden, optimieren? Warum nicht bequem sein und es bei dem belassen, was man hat? Die Antwort ist eine soziologische: Die Freisetzung aus natürlichen und sozialen Schranken lässt nur den permanenten Vergleich der Individuen untereinander als Modi der Vergesellschaftung zurück. Vergleichen heißt konkurrieren – um sichere Jobs, um Aufmerksamkeit, um Anerkennung, um Teilhabe. Der konkurrierende soziale Vergleich ist am Ende das Vergesellschaftungsmodell, das bleibt, wenn Solidaritätsformen wie Gemeinschaft, Stand oder Klasse im Zuge des individualisierenden Modernisierungsprozesses aufgehoben werden. Den Feldern Markt, Krieg, Spiel und Sport werden deshalb bevorzugt die Metaphern entnommen, mithilfe derer die Gegenwart beschrieben wird.

Alles anders machen können heißt für uns deshalb immer alles besser machen wollen. Kontingenzbewusstsein und Optimierungsimperativ fallen zusammen. Sogar das Selbstverhältnis ist ein vergleichendes und optimierendes. Daher erscheint Selbstoptimierung zunehmend als Bedingung eines positiven Selbstwertgefühls. Fitness boomt.

Kunst

Kunst und Kultur haben ein sensibles Sensorium für diesen Wertewandel entwickelt, ihn in seinen Anfängen erkannt, ihn propagiert und kritisiert, auf jeden Fall aber thematisiert:

Schon am Beginn der Moderne wird die Idee einer (Re)-Konstruktion des Körpers aufgegriffen: Goethes „Götz von Berlichingen“, E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“, Shelleys „Frankenstein“. Der Futurist Filippo T. Marinetti forderte die „Herrschaft des von seinen Wurzeln abgetrennten Menschen“ und meint damit die „Verschmelzung des Menschen mit dem Motor“. Visionäre Raumfahrtenthusiasten wie der sozialistisch gesonnene Physiker John Desmond Bernal prophezeiten die „Mechanisierung des Körpers“, die sich mit der Lösung des Menschen von der Erde und damit von allen vorgegebenen Bedingungen ergebe – ein Gedanke, der in der Science-Fiction weiter durchgespielt wurde und wird.

Der Künstler Stelarc erprobt die Erweiterung seines Körpers und kann als Vorreiter der DIY-Cyborgs angesehen werden. Neil Harbisson wiederum experimentiert mit implantierten Sinneserweiterungen. Lynn Randolph vermisst mit ihren Bildern das Spannungsfeld der cyborg culture. Verletzung und Versöhnung – beides findet seinen Ausdruck. HR Gigers Darstellungen des Hybriden formulieren vielleicht sogar die Utopie einer prästabilierten Harmonie zwischen Leben und Maschine.

Mit seinen Fotoarbeiten heftet sich Hannes Wiedemann an die Fersen der Do-It-Youself-Cyborgs. Jenseits weichgezeichneter Simulationen macht er ihre technische Lebenswelt sichtbar. Er führt uns auf die reale Baustelle Körper. Susanna Hertrich wiederum thematisiert mit ihren fiktiven und realen Erweiterungen idealisierter Körper den Zusammenhang der Widersprüche, die die Cyborggesellschaft und die Upgradekultur ausmachen.

Ethik

Die Kunst des Enhancements misst aus und macht erfahrbar, wohin die technologischen Möglichkeiten der Erweiterung und (Re-)Konstruktion des Körpers uns treiben. Die Kunst verhält sich dabei keineswegs eindeutig im Sinne eines klaren „Für“ oder „Wider“. Gerade das ist wichtig, denn im Rahmen der Upgradekultur geht es darum, das Denken in Schwarz-Weiß-Mustern zu dekonstruieren.

Die gesellschaftlichen Bedingungen dieser Kultur wurzeln in der Individualisierung. Fundamentalkritik heißt daher: wirklichkeitsfremde Ablehnung der modernen Gesellschaft. Vor allem aber gibt es anthropologisch gesehen – ich beziehe mich hier auf Helmuth Plessner – kein prinzipielles Argument gegen die Verbesserung des Menschen. Was spricht dagegen, länger zu leben, gesünder zu sein, mehr zu leisten, die Erfahrung zu erweitern?

Das bedingungslose Dafür liefert aber ebenso wenig eine brauchbare Richtschnur für die Beurteilung des human upgrading. Denn natürlich lässt die Upgradekultur auch neue Möglichkeiten der Verdinglichung sichtbar werden. Der kritische Blick in ihre Genealogie lehrt sofort, dass die Optimierung und Technisierung des Körpers mit funktionalistischen und technokratischen Perspektiven verbunden ist. Die Verzweckung der Menschen für die Optimierung sozialer Funktionen aber negiert ihre Erfahrungen und ihr Recht, selbst über den Sinn des eignen Lebens zu verfügen.

Welche Risiken der technologischen Erweiterung und Verbesserung des Menschen man im Einzelnen auch zu diskutieren hat, aus anthropologischer Sicht sind im Horizont der artifiziellen Gesellschaft grundsätzlich zwei Risikotypen zu bedenken: Erstens Technologienutzungen und  -entwicklungen, die die Weltoffenheit des Individuums und der Gattung bedrohen und zweitens eine strukturelle Behinderung des Fortschritts, die die technologischen Möglichkeiten zur Entfaltung des Einzelnen und der Gattung oder technologische Optionen zur Sicherung des Überlebens der Menschheit abweist. In beiden Fällen wird die spezifische Weltoffenheit des Humanum eingeschränkt. Die Kunst des Enhancements springt in diese Ambivalenz mitten hinein, versinnlicht sie und macht sie damit zu Thema.

Der Autor: PD Dr. Dierk Spreen ist Soziologe und Politikwissenschaftler. Zuletzt erschienen von ihm Studien zur Upgradekultur, zur Soziologie der Weltraumfahrt und zum Verhältnis von Gewalt, Krieg und Zivilgesellschaft. Er lebt in Berlin.

Der Beitrag erschien zuerst im Katalog der Ausstellung „Human Upgrade“, die vom 14. Oktober 2016 bis 5. März 2017 in der Galerie der Schader-Stiftung gezeigt wurde.

Zum Weiterlesen

H. R. Giger, 1992: HR Giger ARh +. Köln: Taschen.
Jos de Mul (Hrsg.), 2014: Plessner’s Philosophical Anthropology. Perspectives and Prospects. Amsterdam: Amsterdam University Press.
Dierk Spreen, 2015: Upgradekultur. Der Körper in der Enhancement-Gesellschaft. Bielefeld: transcript.
Marilyn A. Zeitlin (Hrsg.), 1997: Millennial Myths. Paintings by Lynn Randoph. Tempe. Arizona State University Art Museum.

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