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„Stop and Go“: Stationen des Durchgangsverkehrs

Artikel vom 05.08.2016

Larissa Fassler: Schlossplatz IV (Detail) 2013, © Larissa Fassler

Ströme fließen – in Form von Elektrizität, Wasser… und Verkehr. Und so bedient sich das Verkehrswesen mit Begriffen wie „Verkehrsfluss“ sowie beim Aufbau von Verkehrsmodellen der Analogie zu Flüssigkeiten, die Netze durchströmen und sich in diesen nach spezifischen Gesetzmäßigkeiten verteilen. Wie Wasser kann auch Verkehr sich aufstauen, führen Widerstände im Netz dazu, dass sich ein Teil des Stromes einen anderen Weg im Netz sucht. Von Peter Sturm

Alles fließt – auch der Verkehr

Allerdings geht die Analogie nicht so weit, dass der Verkehr als eine Art homogene Flüssigkeit anzusehen wäre. Definiert als Ortsveränderung von Personen, Gütern, Nachrichten und Energie besteht er aus einer großen Anzahl von Einzelelementen. Insofern ist der makroskopischen Perspektive auch eine mikroskopische Perspektive gegenüberzustellen, die von der Betrachtung der einzelnen Verkehrsteilnehmer ausgeht: Was an einzelnen Orten als Verkehrsaufkommen sichtbar oder im Zeitverlauf als Verkehrszunahme nachweisbar ist, ist das Resultat einer Vielzahl von individuellen Mobilitätsentscheidungen. Langfristig betrachtet ist Mobilität geprägt von nur moderat steigenden Zeitbudgets für Ortsveränderungen und zugleich deutlich wachsenden Distanzen. Ermöglicht wurde das durch ständig steigende Reise- und Transportgeschwindigkeiten, wodurch das Auftreten neuer, schnellerer Verkehrsmittel und der zugehörigen Infrastruktur jeweils mit einem deutlichen Sprung der Reichweite verbunden war.

Der Verkehrsweg als „Vexierbild“

Mit dem Auftreten neuer Verkehrsmittel verändern sich Rolle und Bedeutung der Verkehrswege. Einem Vexierbild gleich verkörpern sie nun gegensätzliche Merkmale: Sie sind nicht mehr nur verbindendes Element, sondern zugleich auch Hindernis. So sind Wasserwege nach dem Siegeszug der Eisenbahn auf einmal nicht mehr nur Transportwege für die Schifffahrt, sondern aus Sicht der Bahn zugleich Barrieren, deren Überwindung Umwege oder aufwändige Bauwerke in Form von Brücken erfordert. Dasselbe „Spiel“ setzt sich mit dem Erfolg des Automobils fort. Nun stehen Bahndämme und Schienenstränge den Straßen „im Wege“ und erfordern ihrerseits den Bau neuer Unter- und Überführungen. Und es scheint sich, wie das Video „5th Street“ von Mirko Martin zeigt, auf kuriose Weise ein Kreis zu schließen. Auch die Fahrbahn, die als „Rinne“ für die Kraftfahrzeugströme das schnelle Fortkommen für den Autofahrer garantieren soll, wird plötzlich zum Hindernis für den Vertreter der ursprünglichen Fortbewegungsart, den Fußgänger. Geradezu körperlich kann man nachempfinden, wie bei den für eine Verschnaufpause zunächst vielleicht noch dankbaren Passanten die Gelassenheit in Ungeduld umschlägt, das Warten immer unerträglicher zu werden scheint.

Auf dem Weg zur Rastlosigkeit

Ungeduld und Rastlosigkeit sind Kennzeichen unserer Zeit. Dies zeigt Martin eindrucksvoll mit seiner Arbeit „Traffic“. Obwohl die vorrangig für den physischen Transport von Gütern zuständigen Fernfahrer – vermutlich nach langer Fahrt – ihr Ziel oder eine wichtige Zwischenstation erreicht haben, nutzen sie die Pause nicht etwa zur Regeneration, sondern sind nun auf anderen Kanälen „in Action“. Ähnliche Szenen hätte man auch auf Autobahnraststätten drehen können, die wie Bahnhöfe und Flughäfen beim Umsteigen typische Orte für den „Boxenstopp“ sind: Orte fürs Auftanken, für ein schnelles Mahl, für das Auffüllen von Vorräten …

All diese Bedürfnisse treten nun in Konkurrenz zur rastlosen Geschäftigkeit. Stehen die Räder einmal still, glühen die Drähte. Das Video symbolisiert zugleich anschaulich die enge Abhängigkeit von Mobilität und Telekommunikation: Verkehr ohne Smartphone und Navigationsgerät, ohne leistungsfähige Dispositionssoftware und dynamische Verkehrssteuerung scheint heute nicht mehr denkbar.

Eine kurze Geschichte vom Verschwinden des Orts

Anders als Raststätten, die eigens für den Transit konzipiert sind, werden an städtische Plätze besondere Anforderungen hinsichtlich der Aufenthaltsqualität gestellt. Als öffentliche Räume wirken sie identitätsstiftend und prägen Stadtbild und Stadtgefüge maßgeblich mit. Um diese Qualitäten wahrzunehmen, bedarf es aus Sicht der Passanten jedoch eines Interesses am Ort, ist ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit erforderlich. Mutiert der Platz dagegen zu einer Durchgangsstation, geht der Blick für die besonderen stadträumlichen Qualitäten verloren. Aus etwas anderer Perspektive macht Larissa Fassler den Identitätsverlust des öffentlichen Raums deutlich. Begreift man ihre Arbeiten „Kotti“ (2008) und „Schlossplatz“ (2014) als Sequenz, so führt der massenhafte Gebrauch des städtischen Platzes als Durchgangsstation zu einer ähnlichen Austauschbarkeit wie für den hastenden, einem anderen Ziel zustrebenden Passanten. Sind bei „Kotti“ noch einzelne Personen, städtebauliche Elemente und Aktionen erkennbar, so produziert die makroskopische Betrachtung des „Schlossplatzes“ ein abstraktes Liniengeflecht.

Fassler und Martin thematisieren vorherrschende Tendenzen der Mobilität und führen diese konsequent vor Augen. Es bleibt dem Betrachter überlassen, ob er das als reine Zustandsbeschreibung aufgreift oder aber als Plädoyer gegen ein „automatisches Vorrecht“ des Schnelleren, für eine ausgewogenere Berücksichtigung unterschiedlicher Nutzungsansprüche und für mehr Aufenthaltsqualität.

Der Autor: Dr.-Ing. Peter Sturm ist Geschäftsführer des Zentrums für integrierte Verkehrssysteme (ZIV GmbH) in Darmstadt.

Der Beitrag erschien zuerst im Katalog der Ausstellung „Transit: Ströme“, die vom 15. April bis 4. September 2016 in der Galerie der Schader-Stiftung gezeigt wurde.

Zum Weiterlesen

  • Jeremy Rifkin, 2010: Die empathische Zivilisation – Wege zu einem globalen Bewusstsein. Frankfurt/New York: Campus Verlag.
  • Peter Müller/Peter Sturm, 1997: Schnelle Orte – Langsame Orte: Vielfältige Geschwindigkeitsstrukturen als Alternative zur räumlichen Nutzungsmischung? In: Deutsche Bauzeitschrift, Heft 8/97, S. 87-91. Gütersloh: Bertelsmann-Verlag.
  • SRL - Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung e.V. (Hrsg.), 1994: Um die Wette leben – Geschwindigkeit, Raum und Zeit. SRL-Schriftenreihe Band 39.

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